DDR-Flüchtlinge: "Wir wollten nur in Freiheit leben"

Zu Besuch: Elke und Uwe Meyer mit E. Handler und Ortschef Iby (v. li.).
Eiserner Vorhang. Elke und Uwe Meyer flohen vor 25 Jahren durch den Eisernen Vorhang ins Burgenland.

Die Weintage in der mittelburgenländischen Ortschaft Neckenmarkt laufen derzeit auf Hochtouren, die Kellertüren sind geöffnet, zünftige Musik ertönt. Die Gäste sind angereist, um den Blaufränkischen am Ort seines Ursprungs zu verkosten. Für den Bürgermeister der 1700-Seelen-Gemeinde, Hans Iby, sind die Weintage eine Zeit des Feierns, aber auch des Erinnerns. Exakt vor 25 Jahren, da waren auch die Weintage in vollem Gange, kam der erste DDR-Flüchtling über die ungarische Grenze nach Neckenmarkt.

DDR-Flüchtlinge: "Wir wollten nur in Freiheit leben"
DDR-Flüchtlinge Neckenmarkt
"Wir machten uns nach einer intensiven Nacht auf den Heimweg, als ein Bursch vor uns zusammenbrach und fragte: ,Wo bin ich?‘", erinnert sich Iby. Zunächst dachte man, der junge Mann habe zu tief ins Glas geschaut. Doch schnell habe er, Iby, bemerkt, dass nicht der Blaufränkische schuld am Zusammenbruch war. Dem Ostdeutschen war soeben die Flucht durch den Eisernen Vorhang geglückt.

Es blieb nicht bei einem Flüchtling. "Wir waren überrascht, dass plötzlich so viele kamen", schildert Iby.

Zwei davon sind Uwe und Elke Meyer. Die beiden verbindet mit Neckenmarkt, dem Ortschef und Gemeindemitarbeiter Ewald Handler seit einem Vierteljahrhundert eine ganz besondere Freundschaft. Uwe Meyer hatte sogar zwei Mal den Stacheldrahtzaun überwunden und landete in Neckenmarkt, wie er dem KURIER erzählt. Am 20. August war er mit drei Kumpels von Gera in der ehemaligen DDR nach Ungarn aufgebrochen – "in fester Absicht zu flüchten".

Niemandem getraut

"Es war schwierig. Weder Freunde noch Familie durften etwas von unseren Plänen wissen. Man konnte ja niemandem trauen", schildert der heute 56-Jährige. Gemeinsam reiste man zum Campingplatz nach Sopron. Seine damalige Freundin und heutige Ehefrau Elke, heute 61, blieb vorerst zurück.

Die Flucht bei 30 Grad Celsius sei beschwerlich gewesen, erinnert sich Meyer. Er war der Erste der Truppe, durchschnitt drei Mal den Stacheldrahtzaun. "Wir wussten nicht, ob wir schon in Österreich sind. Alle hatten Angst, erschossen oder verhaftet zu werden." Erst als er ein Schild mit der Aufschrift "Forststraße" entdeckt hatte, war er sich sicher. Ein vorbeikommender Lkw brachte die Flüchtlinge ins "Gasthaus zur Traube" in den Ort. "Dort gab es erst einmal ein Bier. Und mit dem Ewald (Handler, Anm.) hab ich die ganze Nacht Party gemacht." In Wien wurde Meyer als 2222-ster Flüchtling aus der DDR registriert, kurze Zeit später hatte er Papiere für die Einreise in die BRD.

Zweite Flucht

Freundin Elke sollte nachkommen. Doch als sie mit einer Gruppe über Sopron ins Burgenland gelangen wollte, wurden sie erwischt und in ein Lager an den Plattensee gebracht. Uwe Meyer erfuhr vom Schicksal seiner Freundin und begann nach ihr zu suchen. "Auf einmal ist er in dem Lager gestanden. Ich konnte es nicht glauben", erzählt Elke Meyer. Über dieselbe Strecke, über die er selbst zwei Wochen davor geflohen war, trat Uwe Meyer erneut die Flucht an. Es gelang – und in Neckenmarkt angekommen, feierte das Paar symbolisch Hochzeit.

"Wir wollten nur in Freiheit leben und nicht politisch eingeengt werden", sagt das Ehepaar. Sie seien mit nichts in der Tasche gekommen. Heute haben die beiden zwei Geschäfte in Lüdenscheid im Sauerland. "In Neckenmarkt wurden wir mit soviel Herzlichkeit aufgenommen. Das hat uns die Kraft gegeben, alles Weitere zu meistern."

DDR-Flüchtlinge: "Wir wollten nur in Freiheit leben"

Jahrzehntelang wurde Europa durch den „Eisernen Vorhang“ in Ost und West – von der Barentssee im Norden bis zum Schwarzen Meer – geteilt. Der „Iron Curtain Trail“ lädt die Menschen dazu ein, die ehemalige Teilung des Kontinents auf einer 9000 km langen Radroute entlang der Westgrenze der ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten nachzuvollziehen. Der „Iron Curtain Trail“ soll die Bildung einer gemeinsamen europäischen Identität unterstützen.

Das Regionalmanagement Burgenland als burgenländischer Projektpartner dieses EU-Projektes hat gemeinsam mit den ungarischen Projektpartnern in Abstimmung mit nationalen Behörden und Tourismusvertretern die Streckenführung entlang der österreichisch-ungarischen Grenze definiert und die Beschilderung veranlasst. Am Dienstag erfolgt die feierliche Eröffnung mit einer anschließenden Radtour entlang der österreichisch-ungarischen Grenze.

Zur Website "Iron Curtain Trail"

Die Dienstvorschriften sind seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr gültig, dennoch machen sie dem Oberstleutnant im Ruhestand Arpad Bella noch heute zu schaffen: „Eigentlich hätte ich schießen müssen.“

Bella hat aber nicht geschossen an jenem 19. August 1989 in Sopronpuszta, als Massen von DDR-Flüchtlingen beim „Paneuropäischen Picknick“ das Grenztor nach Österreich aufdrückten und so in den Westen flohen. Dafür, dass er damals seine Dienstvorschriften missachtete und somit Gewalt, Massenpanik und vielleicht noch Schlimmeres verhinderte, hat Bella etliche Auszeichnungen bekommen. In dem Augenblick, als völlig überraschend Hunderte die Grenze stürmten, war für Bella klar: „Gegen eine solche Masse kann man nichts ausrichten. Es hätte ein Unglück gegeben, wenn wir eingeschritten wären“ – Vorschrift hin oder her. Bellas Vorgesetzte hatten ein Verfahren gegen ihn eingeleitet. Es wurmt Bella heute noch, dass es ohne Ergebnis eingestellt wurde – er hätte gerne eine dienstliche Bestätigung gehabt, dass er korrekt gehandelt habe.

Kommentare