60 Jahre KURIER: 2004 - 2014

60 Jahre KURIER: 2004 - 2014

Teil 6: 2004 - 2014. Die Araber stürzen ihre Despoten, der Euro muss gerettet werden, und Online macht Print zu schaffen: Erinnerungen an das Jahrzehnt der Premieren.

"Da haben wir uns keine neuen Freunde gemacht". Christoph Kotanko klingt amüsiert – auch acht Jahre nach der Flucht von Ex-Banker Helmut Elsner an die Cote d’Azur ist das Vergnügen, das der damalige Chefredakteur an dieser Geschichte hatte, noch deutlich zu hören.

Zur Erinnerung: Der KURIER hatte einen Fotografen vor dem Domizil Elsners in Frankreich positioniert, nachdem die skandalumwitterte Schlüsselfigur im Bawag-Milliardenskandal hatte ausrichten lassen, dass sie zu krank sei, um nach Österreich zu kommen und vor dem Staatsanwalt auszusagen. Die KURIER-Fotos belegten: Elsner war gut zu Fuß, spielte Golf und bekam überraschend prominenten Besuch aus Österreich: "Plötzlich tauchte ein früherer ÖVP-Obmann mit einem dicken Kuvert auf, und die ÖVP hatte massiven Erklärungsbedarf", erinnert sich Kotanko.

"Der KURIER hat sich in diesem Jahrzehnt im investigativen Bereich verstärkt", analysiert Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjell. "Dass man sich als Tageszeitung in ein publizistisches Match mit den Magazinen begibt, halte ich für richtig. Der Erfolg ist vom langen Atem abhängig. Denn der investigative Journalismus kann nicht jede Woche die super Aufdecker-Geschichte liefern."

Die Zeitung zu füllen, war – Aufdecker-Geschichten hin oder her – auch in den Jahren zwischen 2004 und 2014 nie ein Problem: Da stürzten die Araber ihre Despoten, sahen einen kurzen Arabischen Frühling in die Länder ziehen und beobachten, wie der Islam zum Feindbild der westlichen Welt wurde. Da platzte erst die US-Immobilienblase, löste eine globale Rezession und Turbulenzen an den Finanzmärkten aus, bis der Euro mehrfach gerettet werden musste. Da wurde erstmals ein Afroamerikaner US-Präsident und ein Südamerikaner Papst, nachdem dessen Vorgänger zurückgetreten war – ebenfalls erstmals. Österreichische Filmschaffende wurden zu Oscar-Abräumern und das Internet vom praktischen Lebenshelfer zum bedrohlichen Spitzel, der das Leben eines jeden durchdringt.

Und der KURIER berichtete.

"Wir haben versucht, den Weg, den Peter Rabl eingeschlagen hat – weg vom Boulevard, hin zum Qualitätsjournalismus – fortzuführen", sagt Ex-Chefredakteur Kotanko. Das sei in Sachen Finanzkrise gut gelungen: "Da haben wir von einer solide aufgestellten Wirtschaftsredaktion profitiert." Nachsatz: "Das ist ja nicht ganz unproblematisch, wenn eine Bank den Mehrheitsanteil an einem Unternehmen hat."

Auch in den Kriminalfällen Kampusch und Fritzl, die zu einem Medienhype führten, übte man sich in ordentlicher Berichterstattung. Kotanko: "Das war aber eine besondere Aufgabenstellung." 2009 wurde der KURIER für seine Bemühungen belohnt und zur "Redaktion des Jahres" gewählt.

Weniger positiv fällt der Befund des Medienexperten Fritz Hausjell auf einem anderen Gebiet aus: "Ich beobachte eine Schwächung in der internationalen Ausrichtung. Bis in die 80er-Jahre hinein hatte der KURIER eine deutliche außenpolitische Positionierung. Heute leben wir in Zeiten der Globalisierung und kümmern uns nicht um globale Geschichten. Wir richten den Blick nicht mehr auf die große weite Welt, mit der wir mehr zu tun haben als je zuvor."

Dass man derzeit über Regionen abseits der Brennpunkte Naher Osten oder USA nur wenig erfährt, sei eine Schwäche sämtlicher österreichischer Medien und auch vieler deutscher. Hausjell sieht finanzielle, aber auch ideologische Gründe. "Auslandsberichterstattung kostet am meisten, da können Redaktionen am schnellsten sparen. Außerdem – denkt man – kommt ohnedies alles über die Agenturen. Stimmt auch, aber: dreifach gefiltert, aus der Perspektive eines anderen Kontinents."

Der Medienexperte appelliert, den österreichischen Leser abzuholen. "Und das können nur österreichische Journalisten." Heinz Nussbaumer, langjähriger KURIER-Außenpolitikchef ergänzt: "Im Kalten Krieg war Österreich ein Wachturm der Freiheit am Eisernen Vorhang. Damals war es selbstverständlich, dass wir uns um die Welt und die Zukunft Sorgen gemacht haben. Vielleicht lullt uns der Wohlstand heute etwas ein. Aber man glaubt gar nicht, wie schnell das weg ist, wenn man den kritischen und selbstbewussten Journalismus aufgibt." Und weiter: "Der KURIER hat Österreichs Schicksal in wesentlichen Stunden mitbestimmt – vor und hinter den Kulissen. Und er sollte keinesfalls darauf verzichten, das weiter zu tun."

Auslandsberichterstattung muss man sich leisten

Ein paar unserer Korrespondenten:

Leicht macht es der Zeitgeist Printmedien allerdings nicht: "Als ich die Chefredaktion übernahm, war klar, dass Gratiszeitungen und digitale Medien keine vorübergehenden Moden sind, sondern eine dauerhafte Verschiebung bringen", sagt Kotanko. "Die Digitalisierung stellt Fragen, auf die es bis heute keine endgültigen Antworten gibt." Sein Kredo: "Online muss der Zeitung nutzen, die Zeitung muss online nutzen. Nur wenn wir die Gutenberg-Welt und die Google-Welt vereinen, werden unsere Medien eine gute Zukunft haben." Diese beiden Welten zu vereinen, sei die größte Schwierigkeit "und deshalb braucht man eine Gesamtstrategie. Das größte Problem: ein tragfähiges Geschäftsmodell. Vorteil für Traditionszeitungen – und der KURIER ist eine Traditionsmarke: Die Leser haben Vertrauen in sie. Und darauf kann man aufbauen."

Ex-Chefredakteur Peter Rabl assistiert: "Qualitätsjournalismus hat Zukunft, auch in Print. Aber die Massenzeitungen sind endenwollend. Das heißt auch, dass es verlegerisch sehr mutiger Entscheidungen bedürfte und auch sehr mutiger Eigentümer-Entscheidungen."

Kotanko: "Ich nehme an, dass es gedruckte Zeitungen noch sehr lange geben wird. Allerdings unter anderen Umständen, zu einem anderen Preis, vielleicht mit einem anderen Erscheinungsrhythmus."

Rezept?

Fragt man Kommunikationswissenschaftler Hausjell nach einer tauglichen Lösung im Change-Prozess, kommt erst langes Schweigen und dann: "Grundprinzip aus meiner Sicht – man muss eine starke Print-Redaktion aufrechterhalten. Das Printprodukt ist nach wie vor – und wird es auch noch lange bleiben – das stärkere."

Alles, was schnell konsumierbar ist, solle es dagegen nur mehr im Netz geben. Hintergründiges zwar ebenfalls – aber nur gegen Bezahlung. "Das setzt zwei Redaktionen voraus, die sich auf das eine bzw. das andere konzentrieren können. Alle machen alles, geht nicht." Und auch die Leser seien gefordert: "Ich muss einen Wechsel in die Denke hineinbringen – vor allem bei den Intellektuellen. Man muss sich eine ordentliche Zeitung einfach wieder leisten wollen."

Vieles wies voraus auf die Welt, in der wir heute leben – nach dem Wort des französischen Schriftstellers Andre Malraux: "Wer in der Zukunft lesen will, muss in der Vergangenheit blättern."

Die Dekade begann 2004 mit dem Horror des Tsunami, der in Thailand, Indonesien, Sri Lanka 230.000 Menschenleben forderte. Dem Schock folgte weltweiter Beistand. Der KURIER gehörte zu dieser globalen Hilfsgemeinschaft: Mit Raiffeisen, der Bauwirtschaft und dem Roten Kreuz wurden in Sri Lanka sechs Dörfer für 7000 Menschen errichtet – ein Beitrag der KURIER-Familie, den die Opfer nie vergessen haben.

Ebenfalls 2004 führt Irland als erstes Land der Welt ein generelles Rauchverbot in geschlossenen öffentlichen Räumen und an allen Arbeitsplätzen ein. Die strikte Anti-Tabak-Politik hat dazu geführt, dass weniger Iren rauchen. Anfangs litten die Pub-Besitzer, inzwischen ist "No smoking" allgemein akzeptiert. Da hinkt Österreich hinterher.

Auch Deutschland erlebte eine Premiere: Die ausgebildete Physikerin Angela Merkel wurde 2005 erste Bundeskanzlerin. Sie hält sich bis heute als Chefin unterschiedlich zusammengesetzter Koalitionsregierungen. Die Dauerhaftigkeit hat mit ihrem Motto zu tun: "Politik heißt nicht, ständig nach dem Wetterhahn auf dem Dach zu schauen, sondern seine Überzeugungen umzusetzen."

Triumphal war 2008 die Wahl des ersten Afroamerikaners zum US-Präsidenten. Barack Obama war Träger zahlloser Hoffnungen, 2009 bekam er den Friedensnobelpreis. So groß die Erwartung, so groß die Enttäuschung: Er wurde vom "Messias" zum Kriegspräsidenten, mit den Beliebtheitswerten ging es steil bergab.

Überbordender Zukunftsglaube war auch nach der Wahl des ersten Lateinamerikaners zum Papst zu spüren: Jorge Mario Bergoglio wurde 2013 Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche. Der Argentinier hat vieles Notwendige angestoßen. Das Werk ist längst nicht getan, doch die Hoffnung sollte – wie in der Bibel steht -– "nicht umsonst sein."

Ebenfalls 2013 gab Whistleblower Edward Snowden erstmals Einblick in das gewaltige Ausmaß der Überwachungspraktiken amerikanischer und britischer Geheimdienste. Der Enthüller gilt in den USA als Vaterlandsverräter. Aber er hat der Welt bewusst gemacht, wie gefährdet die Freiheit von Kommunikation und Information im 21. Jahrhundert ist.

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