Gut eingefädelt

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Mit handwerklicher Präzision ist Wittmann zum international gefragten Polstermöbel-Hersteller aufgestiegen. IMMO hat die Werkstätte in Niederösterreich besucht.

Das Kamptal ist berühmt für guten Wein. Doch deswegen sind wir nicht in Etsdorf. Unsere Fahrt endet vor einem Gebäude mitten im Ort. Man würde nicht vermuten, dass hier ein weltbekannter Polstermöbel-Produzent zu Hause ist. Doch das Türschild bringt Gewissheit: Wir stehen vor dem Firmensitz von Wittmann.

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Im Inneren des historischen Bauwerks macht sich die Atmosphäre einer Metallwerkstätte breit: Säulen aus Stahl, Ziegelwände und hohe Glasfenster. Das Unternehmen, das 1896 als Sattlerei gegründet wurde, ist seit Beginn in den Weinbergen beheimatet. Franz Wittmann, der verstorbene Vater der jetzigen Unternehmensleiterin Ulrike Wittmann, begann nach dem zweiten Weltkrieg mit der Möbelproduktion. Seit Ende der 1950er-Jahre bilden Betten und Matratzen, Sofas, Stühle und Fauteuils das Kerngeschäft. Produziert wird bis heute fast ausschließlich in Handarbeit.

Die Bauvorlage liefern namhafte Designer wie Matteo Thun und Paolo Piva. Oder der berühmte Architekt und Pritzker-Preisträger Jean Nouvel, dessen Couch "Vienna“ auf dem Gang zum Probesitzen einlädt. Wittmann hält aber auch das Erbe historischer Gestalter aufrecht. Von Josef Hoffmann etwa, einem bedeutenden Architekten des vergangenen Jahrhunderts. Als einziger Hersteller baut Wittmann bis heute seine Möbel im Original nach.

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Gründe genug, um sich den Betrieb näher anzusehen. In der Schlosserei, wo das Grundgerüst gebogen und verschweißt wird, nimmt die Besichtigung ihren Anfang. "70 Prozent aller Möbel bestehen aus Metall“, erklärt Produktionsleiter René Hentschke, der uns durch den Betrieb führt. Die Unterkonstruktion aus Stahl sorgt für Stabilität und eine lange Lebensdauer. "Unsere Stücke überdauern mehrere Jahrzehnte. Wer möchte, kann den Bezug und die Polsterung erneuern, doch das Innere ist selbst nach 30 Jahren unversehrt“, sagt Hentschke.

"Das zu einem Korpus verschweißte Gerüst wandert in die "Begurtung“, wie sich die Abteilung nennt. Dort treffen wir Herrn Utzler, gelernter Polsterer und seit zehn Jahren bei Wittmann tätig. Er spannt ein Netz aus Gurten über das Stahlskelett "Bonnie“ und schwärmt dabei von seinem Job, der heute unter Jugendlichen wenig populär ist. "Eigentlich wollte ich Tischler werden. Doch dann habe ich meine Ausbildung bei Wittmann gemacht und das Handwerk der Polsterei gelernt. Das Tolle ist, dass dieser Job viele Bereiche abdeckt – auch die Schreinerei“, sagt er begeistert. Am Rande erwähnt er, dass auch seine Mutter hier arbeitet. Wie wir erfahren, ist seine Geschichte kein Einzelfall.

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Das Unternehmen ist seit über hundert Jahren in Familienhand. Und es beschäftigt Generationen: Oft sind mehrere Mitglieder einer Familie bei Wittmann angestellt. Insgesamt 120 Mitarbeiter zählt die Firma. Der Großteil wohnt in unmittelbarer Nähe und wurde im Betrieb ausgebildet. Weil jeder jeden beim Vornamen kennt, bezeichnet Produktionsleiter Hentschke die Unternehmenskultur als "großes Miteinander“.
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In Der Näherei, wo die Bezüge geschneidert werden, beugen sich zwei Mitarbeiterinnen über einen meterlangen Tisch. Ein geblümter Stoff ist darauf ausgerollt und sie überlegen, wie sie die Einzelteile zuschneiden. "Das Muster muss später wieder zusammenpassen“, sagt eine der beiden und richtet die Schablonen aus. Die Fabrikate – vom Stahl über die Holzbeine bis hin zum Leder – stammen zu 95 Prozent von heimischen Erzeugern. Produziert wird auf Bestellung, weshalb kein Lager benötigt wird. Die Ware wird nach Fertigstellung zum Kunden geliefert. "70 Prozent der Produktion geht ins Ausland, von Deutschland über Russland bis nach China und in die USA“, sagt Hentschke.

Endstation sind die Wohnzimmer privater Kunden. Oder öffentliche Räume. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon etwa möblierte sein Büro mit Wittmann. Auch Modedesigner Valentino setzt auf Polstermöbel aus Österreich und stattet seine Boutiquen in Kalifornien damit aus.

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Dass Wittmann-Möbel weltweit geschätzt werden, liegt an den hochwertigen Materialien und der präzisen Verarbeitung. Daraus ergibt sich eine lange Lebensdauer, die die Design-Philosophie des Unternehmens erklärt: Das Aussehen soll so zeitlos wie möglich sein, um dem ästhetischen Empfinden über Jahrzehnte hinweg zu entsprechen. Damit trotzt Wittmann der geplanten Obsoleszenz – der Strategie, die in industriellen Betrieben Einzug hielt und nach der Produkte so konzipiert werden, dass sie vorzeitig zu Bruch gehen.
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Übrigens: Nicht alles passiert in Handarbeit. Eine computergesteuerte Maschine, ein Cutter, schneidet geradliniges Vlies, Jute oder einfarbige Stoffe zu. Ausgelastet ist das Gerät nicht. Es rechtfertigt sich aber aus einem anderem, menschlichem Grund. Hentschke: "Das Zuschneiden gerader Stoffbahnen ist einfach langweilig. Das wollen wir unseren Mitarbeitern ersparen.“www.wittmann.at

Der „Kubus“ ist bis heute eines der gefragtesten Modelle von Josef Hoffmann. Obwohl der Entwurf schon über hundert Jahre alt ist, stattet das Modehaus Valentino seine Boutiquen in Kalifornien damit aus. Das kubische Fauteuil wird seit 1970 vom heimischen Möbelbauer Wittmann reproduziert. Geplant war das nicht.

Eigentlich sollte ein italienisches Möbelhaus die Rechte erhalten. Die Vertreter reisten nach Wien, um Hoffmanns Witwe Carla die Pläne abzukaufen. Ihr rüder Auftritt ließ sie jedoch zweifeln. Auf Rat eines Freundes, dem Architekten Johannes Spalt, vertraute sie die Zeichnungen dem Möbelbauer Wittmann an. Seither werden Hoffmanns Modelle, die sich Fledermaus, Purkersdorf, Haus Koller, Armlöffel oder Kubus nennen, in Niederösterreich nachgebaut.

Hoffmann ist einer der wichtigsten Architekten und Designer des vergangenen Jahrhunderts. Neben zahlreichen Wohnbauten und Geschäftslokalen zählen das Sanatorium in Purkersdorf und das Palais Stoclet in Brüssel (beide wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts fertiggestellt) zu seinen bekanntesten Arbeiten. Außerdem begründete er 1903 die Wiener Werkstätte mit, für die er viele Produkte entwarf.

Mit der Reproduktion historischer Möbel hat sich Wittmann ein zweites Standbein aufgebaut. Mittlerweile finden sich auch Reeditionen des 1965 verstorbenen, österreichischen Architekten und Designers Friedrich Kiesler im Portfolio. Weitere sollen folgen.

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Das Fauteuil „Villa Gallia“ entstand 1913 für die Einrichtung der Familie Gallia in der Wohllebengasse in Wien.
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Den gelben Stuhl „Fledermaus“ hat er 1907 für das gleichnamige Kabarett entworfen.

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Der Slogan Ihres Unternehmens lautet „ein echter Wittmann“. Welche Ansprüche stellen Sie an Ihre Möbel?

Es muss gefallen. Neben dem Design ist der Sitzkomfort, der jedem gerecht werden muss, ein wichtiges Kriterium. Maßgebend ist auch die Qualität der Materialien, speziell der Lederhäute, sowie die Verarbeitung mit handwerklicher Präzision.

Ihre Designpolitik ist sehr reduziert. Woran liegt das?

Unsere Möbel halten vierzig bis fünfzig Jahre und länger. Da würde sich modisches Design widersprechen. Eines unserer wichtigsten Stücke – und zugleich eine Messlatte für unsere Designer – ist der Kubus von Josef Hoffmann: Er ist 102 Jahre alt. Der Entwurf könnte aber genauso gut von heute stammen.

Sie halten an traditioneller Handarbeit fest. Sind Sie damit konkurrenzfähig?

Die handwerkliche Fertigung bietet uns große Flexibilität. Wir arbeiten auftragsbezogen und können Wünsche erfüllen, denen die Industrie nicht nachkommen kann. Form und Größe eines Stücks können wir speziell an den Wunsch des Kunden anpassen. Nur bei Großaufträgen haben wir einen Nachteil: Industriell arbeitende Betriebe erreichen bei großen Stückzahlen eine Kostendegression. Bei uns funktioniert das nicht ganz. Dafür bekommt man bei uns eine höhere Qualität.

Sie pflegen ein qualitätsvoll-teures Images. Könnten Sie sich vorstellen, auch für weniger kaufkräftige Klientel Produkte anzubieten?

Den Begriff „teuer“ lehne ich ab. Wenn man die Lebensdauer unserer Möbel betrachtet, sind sie günstiger als ein Sofa, das nur 399 Euro kostet. Eine günstigere Produktion würde nicht unserer Philosophie entsprechen.

Welcher Gedanke prägt Ihre Unternehmensphilosophie?

Wir wollen in einem Qualitätsbereich arbeiten, der uns von der Wegwerfgesellschaft wegbringt. In Etsdorf etwa stehen vor jedem Haus drei Mistkübel. Was da alles hineingestopft wird, ist Wahnsinn. Wir sollten uns damit beschäftigen, Müll zu vermeiden und in langlebige Produkte investieren. Das gilt auch für Möbel. Obwohl das eine finanzielle Frage ist, kommen viele unserer Kunden aus dem Mittelstand. Sie sparen einige Jahre für ein Stück, weil sie die Qualität eines handgemachten Produktes schätzen.

Der Betrieb ist seit jeher in Familienhand. Wird das auch in Zukunft so sein?

Ja, wir haben vier Kinder, die das Unternehmen weiterführen werden.

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