Wiener Ringstraße - Teil 1: Gestern und heute
IMMO hat bei Architekturstudenten aus ganz Österreich nachgefragt, welchen Stellenwert die Baukunst der Wiener Ringstraße damals und gegenwärtig hat.
Mit den Worten „Es ist mein Wille ...“ erteilte Kaiser Franz Joseph den Auftrag zum Bau des schönsten Boulevards des Landes – der Wiener Ringstraße. Am 1. Mai 1865 fand die feierliche Eröffnung statt. 150 Jahre später hat IMMO bei heimischen Architekturstudenten nachgefragt, welchen Stellenwert die Baukunst noch heute hat und welche Rolle sie in der Architektur einnimmt.
Die Ringstraße – eine Gründermelange.
Catherine Schmit und Bojan Ikić, Technische Universität Wien.
"Wenn man in eine Diskussion über die Bedeutung der Ringstraße gerät, kommt man um die Gründerzeit nicht herum. Doch wer waren diese sogenannten „Gründer“? Anscheinend gab es 1857 eine große Aufbruchstimmung: Kaiser Franz Joseph verkündete seinen „allerhöchst genehmigten Plan der Stadterweiterung“. Und das an Einfluss gewinnende Bürgertum stand in den Startlöchern, Unsummen an Kapital zu entfesseln.
Gleichzeitig machte die Demokratie in Österreich erste Fortschritte. 16 Jahre später, 1873, kam es in der Doppelmonarchie zu den ersten direkten Wahlen und die Gründung von politischen Parteien wurde durch das Vereins- und Versammlungsrecht vereinfacht. Diese gesellschaftlichen Prozesse lassen sich am Projekt der Ringstraße ablesen: Ein als prunkvoller Boulevard geplanter Ring des Kaisers wurde zur Machtdemonstration des Volkes. Das Rathaus, die Universität und das Parlament stehen nun der kaiserlichen Hofburg gegenüber. Bezahlt wird das Ganze aus Mitteln des Stadterweiterungsfonds, der durch den Verkauf der umliegenden Grundstücke entstand. Die Ringstraße steht für das nahende Ende einer Monarchie; ist selbst heute noch ein Ort des politischen Protests. Ihre Form der (teils spekulativen) Grundstücks- und Eigentumspolitik, ist ein Zeugnis für eine Phase des Aufschwungs und zumindest mitverantwortlich für den Börsenkrach von 1873. Diesen Bauten kann man aus heutiger Sicht einen konstituierenden Charakter zuschreiben, welcher sich im Baustil des romantischen Historismus widerspiegelt. Die Rückbesinnung auf alte Werte und Ideale zeigt sich in keinem Bauwerk besser als im Parlament des Architekten Theophil von Hansen: eine Athene, die über das Hohe Haus wacht. Romantik pur!“
Gleichzeitig machte die Demokratie in Österreich erste Fortschritte. 16 Jahre später, 1873, kam es in der Doppelmonarchie zu den ersten direkten Wahlen und die Gründung von politischen Parteien wurde durch das Vereins- und Versammlungsrecht vereinfacht. Diese gesellschaftlichen Prozesse lassen sich am Projekt der Ringstraße ablesen: Ein als prunkvoller Boulevard geplanter Ring des Kaisers wurde zur Machtdemonstration des Volkes. Das Rathaus, die Universität und das Parlament stehen nun der kaiserlichen Hofburg gegenüber. Bezahlt wird das Ganze aus Mitteln des Stadterweiterungsfonds, der durch den Verkauf der umliegenden Grundstücke entstand. Die Ringstraße steht für das nahende Ende einer Monarchie; ist selbst heute noch ein Ort des politischen Protests. Ihre Form der (teils spekulativen) Grundstücks- und Eigentumspolitik, ist ein Zeugnis für eine Phase des Aufschwungs und zumindest mitverantwortlich für den Börsenkrach von 1873. Diesen Bauten kann man aus heutiger Sicht einen konstituierenden Charakter zuschreiben, welcher sich im Baustil des romantischen Historismus widerspiegelt. Die Rückbesinnung auf alte Werte und Ideale zeigt sich in keinem Bauwerk besser als im Parlament des Architekten Theophil von Hansen: eine Athene, die über das Hohe Haus wacht. Romantik pur!“
Ensemble Kaiserforum.
Lukas Wulz, Akademie der bildenden Künste Wien.
"Da der Grundriss der Ringstraße durch die Schleifung der ehemaligen Befestigungen Wiens geprägt ist, welche die Gebäudefassaden entlang der Straße anordnet, erschien es für mich interessant, hybride Strukturen dieses Straßenzuges zu zeigen, die aus dem reinen Spalierstehen entlang der Ringstraße heraustreten und die Idee dieser Prachtstraße neu definieren. Hier muss man auf das Kaiserforum von Hasenauer und Semper verweisen, welches in der Ausführung nicht vervollständigt wurde. Bei der Planung des Kaiserforums muss man sich den Ort einerseits als ein die Ringstraße durchtrennendes Ensemble sehen, das andererseits aber auch den einzigen Bezug zu Geschichte und Bautradition Wiens herstellt. Es stellt eine architekturgeschichtliche Achse zwischen den barocken Hofstallungen (heutiges MuseumsQuartier), der historistischen Gebäude Kunst- bzw. Naturhistorisches Museum, der Neuen Burg und dem klassizistischen Burgtor her. Auch der ideelle Bestandteil ist nicht außer Acht zu lassen, wie die emotionale Geschichte des Heldenplatzes. Wenn man diese Gerade in Richtung Zentrum verlängert, kommt man sogar weiter zum Prototypen der Moderne, dem Looshaus am Michaelerplatz. Es spannt sich so ein stilistischer Bogen vom Barock zur Moderne, alles in einem Zug. Diese Aufzählung der Epochen ist natürlich aufgrund der Vielzahl an angrenzenden Gebäuden nicht vollständig, aber es zeigt für mich eine faszinierend-seltene Sedimentierung der Wiener Architektur. Meines Wissens handelt es sich hier im Maßstab um eine weltweit einzigartige Aneinanderreihung an verwirklichten Theorien und ist als gebaute Baustilkundevorlesung immer einen Spaziergang wert.“
Spiegel der Gesellschaft?
Jomo Ruderer, Architekturzeichensaal 4, Technische Universität Graz.
"Sie ist schon schön, die Ringstraße. Durchzogen von Baumalleen und gezeichnet von städtischer Vitalität zeigt sie sich als die romantische Vorstellung der Stadt und des Flanierens. Aber wie kam es dazu und was ist sie heute? Entstanden aus Optimierungsgedanken und zur Effizienzsteigerung der Vernetzung des „Ersten“ und der neu eingegliederten Vororte klingt die Ringstraße wie ein neoliberales Stadtentwicklungskonzept. Raumausnutzung. Überwachung des Proletariats. Architektur ist ein träger Spiegel der Gesellschaft. Und mit der Ringstraße ist das auch so. Im Gegensatz zu Haussmanns Paris ist die Ringstraße in der kollektiven Erinnerung nicht damit belastet, Massen vertrieben und ganze Stadtquartiere abgerissen zu haben. Das Schleifen der Stadtmauer, das Entfernen der nicht mehr notwendigen militärischen Struktur hat zur Idee der Ringstraße geführt. Oder hat sich diese Struktur vielleicht nur transformiert? Eine neue Form der Überwachung. Zu ihrer Entstehung war sie flankiert von zwei Kasernen, um nach den Aufständen von 1848 nicht unvorbereitet zu sein, falls es notwendig wird, das Proletariat niederzuschlagen. Das war dann nie mehr notwendig. Aber ein strategisch wichtiger stadt- und staatspolitischer Platz ist sie geblieben. Heute verortet sich hier oftmals Protest. Und reagiert wird mit gewaltigen Straßensperren und Vermummungsverbot. Genau das ist sie auch heute für mich. Der Ort, an dem unser Verständnis für Protest und Verbot ausprobiert werden kann. Ein Ort der Reibung. Ein Ort der Überlagerung verschiedener Interessen. So wie einst zu ihrer Entstehung steht Wachstum in Wien wieder am Programm und öffentlicher Raum läuft Gefahr, aus Gründen des „Funktionierens“, einer immer stärker werdenden Verbotskultur zu unterliegen. Heute ist es noch möglich, ein Dosenbier vor dem Parlament zu trinken. Und in meiner Vorstellung von Demokratie muss das und vieles mehr möglich sein und bleiben. Sie ist vor allem eines: öffentlicher Raum. Und schön ist sie schon, die Ringstraße.“
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