Wiener Ringstraße - Teil 2: Gestern und heute
IMMO hat bei Architekturstudenten aus ganz Österreich nachgefragt, welchen Stellenwert die Baukunst der Wiener Ringstraße damals und gegenwärtig hat.
Mit den Worten „Es ist mein Wille ...“ erteilte Kaiser Franz Joseph den Auftrag zum Bau des schönsten Boulevards des Landes – der Wiener Ringstraße. Am 1. Mai 1865 fand die feierliche Eröffnung statt. 150 Jahre später hat IMMO bei heimischen Architekturstudenten nachgefragt, welchen Stellenwert die Baukunst noch heute hat und welche Rolle sie in der Architektur einnimmt.
Ein Stück Identität.
Jürgen Walluschnig, FH Joanneum Graz.
"Die Wiener Ringstraße ist ein Konglomerat an Prachtbauten, das ein städtebauliches Kunstwerk darstellt. Sie ist das Aushängeschild der Stadt Wien, das ein Stück Identität beinhaltet. Einen Hauch von Nostalgie verspürt man, wenn man die Ringstraße hinuntergeht. Es ist immerhin ein Stück an Zeitgeschichte, die hier im Herzen von Wien als Monument dasteht. All jene prunkvollen Bauten aus dem Ende des 19. Jahrhunderts waren letzte Machtdemonstrationen der K.-u.-k.-Monarchie. Doch auch, wenn der Bau dieser Gebäude zur damaligen Zeit sehr umstritten war und viel Geld verschlang, stehen diese Gebäude heute noch und wahrscheinlich noch viele weitere Jahrzehnte. Trotz der sich stetig ändernden Anforderungen leisten diese Gebäude dank laufender Adaptierungen auch in der heutigen Zeit noch ihren Dienst. Auch nach zahlreichen Zerstörungen wurden die Gebäude wieder aufgebaut und restauriert. Diese Gebäude sind die Wurzeln unsere Gesellschaft. Darum liegt es auch in unserer Verantwortung, diese Wurzeln zu bewahren. Nichtsdestotrotz bedeutet dies aber auch Stillstand. Gerade deshalb ist es auch so wichtig, diese Gebäude mittels einer entsprechenden Nutzung zu bespielen. Um dieses städtebauliche Kunstwerk zu beleben, wäre es auch gut, neuartige Projekte in näherer Umgebung entstehen zu lassen, natürlich stets im Einklang mit all den geschichtsträchtigen Bauten. Dass diese Durchmischung zwischen Altem und Neuem durchaus funktioniert, ist am angrenzenden MuseumsQuartier gut zu sehen. Solche Neubauten können durchaus zur Aufwertung des gesamten Gebietes führen.“
Über das Gefühl, vor die Stadt hinauszutreten.
Sophie Schrattenecker, Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz.
"Genau genommen ist er ein Vieleck, „der Ring“; ein Straßenzug, welcher so vielfältig ist an räumlichen Qualitäten, dass es eines zweiten Blickes bedarf, dessen Strukturen zu erfassen. Im Gegensatz zu den mittelalterlichen Plätzen der Wiener Innenstadt, welche wie Zimmer beschrieben werden können, deren Decken abgenommen wurden, ist die Wiener Ringstraße Resultat einer offenen, fast modernen Raumordnung. Für die menschliche Wahrnehmung setzt sie sich aus einer Abfolge aneinandergereihter Kompositionen aus Gebäuden, Wegen und Plätzen zusammen. Diese lockere Reihung autonomer, über den gemeinsamen Ring verbundener, urbaner Situationen lässt rasch in den Hintergrund treten, dass es sich hierbei um immer dieselbe Straße handelt. Es bleibt die Frage, weshalb mit der Ringstraße eine derartig großzügige Bebauung der mittelalterlichen Struktur im Stadtinneren entgegengesetzt wurde. Ein Blick in die historischen Karten Wiens gibt Antwort: Jener der Ringstraße vorangehende, vieleckige Verteidigungsstreifen um die Stadtmauern war niemals bebaut gewesen. Das sogenannte „Glacis“ diente der Stadt seit jeher als Verteidigungs-, Verkehrs- und Freifläche. Damen und Herren der großbürgerlichen Gesellschaft Wiens traten in Friedenszeiten gerne aus der Enge der Gassen hinaus, um das Gebiet vor den Stadtmauern als Flaniermeile zu nutzen. In seiner Funktion war das Glacis also Teil der Stadt, obwohl es im eigentlichen Sinn nicht mehr dazugehörte. Dennoch, die Urmutter der Wiener Ringstraße, das Verteidigungsfeld, machte mit seiner funktionalen Weite die Dichte im Stadtinneren erst möglich – und erträglich. Heute hat sich an der ursprünglichen Funktion der Ringstraße nichts geändert. Sie ist Außenraum mehr als Innenraum, gewissermaßen ein stadtinternes, weites Feld. Nach wie vor nimmt „der Ring“ die Rolle des großzügigen Ortes ein. Er verspricht Erholung nach enger Geschäftigkeit zwischen geschlossenen Häuserzeilen und die lebhafte Erinnerung an die Weite des Glacis.“
Weiterentwicklung des Rings?
Stefan Klausner, Universität Innsbruck.
„Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Besuch in der Bundeshauptstadt: Ich war damals zwölf Jahre alt und habe meine Taufpatin besucht, die in Wien gelebt hat. Neben dem Stephansdom, dem Schloss Schönbrunn, dem Prater und dem Café Hawelka stand natürlich auch ein Besuch der Ringstraße auf dem Programm. Ich war sehr fasziniert von der Größe des Boulevards und all den Prachtbauten entlang des Rings, besonders im Gedächtnis geblieben sind mir aber die vielen Parks. Man kann den Stellenwert dieser Grünräume, welche sich im absoluten Zentrum Wiens befinden, gar nicht hoch genug einschätzen. Die zahlreichen Parks sind bei den Wienerinnen und Wienern gleichermaßen beliebt wie bei den vielen Besuchern und werden auch dementsprechend genutzt. Sei es zum kurzen Innehalten auf einer Parkbank im Volksgarten an einem stressigen Tag, zum Zeitvertreib während der Mittagspause im Schatten eines großen Baumes im Stadtpark oder zum gemütlichen Abhängen auf einer Picknickdecke an einem lauen Sommerabend im Burggarten. Fast zwanzig Jahre sind seit meinem ersten Wienbesuch vergangen und bis auf den Umbau von einigen Gebäuden hat sich am Ring in dieser Zeit nicht wirklich viel verändert. Das wirft natürlich die Frage auf, ob es im Sinne einer Weiterentwicklung der Stadt nicht auch einer Weiterentwicklung des Rings bedarf. Die kürzlich von der Wiener Vizebürgermeisterin präsentierten Zukunftsvisionen für die Ringstraße sind meiner Ansicht nach ein erster Schritt in diese Richtung. Dem motorisierten Individualverkehr wird meines Erachtens auf dem Ring nach wie vor zu viel Raum eingestanden. Weltweit ist in Städten der Trend zu beobachten, dass Straßen rückgebaut werden, um neuen öffentlichen Raum zu schaffen, und es wäre doch schön, wenn man in einigen Jahren von der Wiener Ringstraße dasselbe behaupten könnte.“
Retro- und Zukunftsperspektive.
Elias Molitschnig, Fachhochschule Kärnten, Spittal an der Drau.
„Theophil Hansen, als einer der geschichtlich wichtigsten Vertreter der Ringstraßen-Ära, prägt mit seinen gut proportionierten Bauwerken bis heute das Bild der Ringstraße. Er konnte in seinen Werken eine Form zeitloser, klassischer Eleganz im Stadtraum verankern. Vielleicht ein Zufall, aber dennoch bemerkenswert für mich, dass heute, 150 Jahre später, wieder ein aus Dänemark stammender Architekt und Städteplaner zukunftsweisende Perspektiven aufzeigt und wesentliche Grundsätze für weitere Entwicklungen thematisiert. Kopenhagen, die Heimatstadt von Jan Gehl, wurde zu einer der lebenswertesten Städte der Welt. Das ist zu einem Teil auch sein Verdienst. Mit der Firma Gehl Architects berät er etliche Metropolen, wie diese zu „Städten für Menschen“ werden können. Deshalb lud ihn die Stadt Wien zur Diskussion „Visionen für die Wiener Ringstraße“ ein. Für Städteplaner ist eine gesamtheitliche Sicht des Lebensraumes, in den letzten 50 Jahren zunehmend verloren gegangen und hat über lange Perioden dem „Zeitgeist“ verpflichteten Faktoren wie beispielsweise dem Autoverkehr, Platz gemacht. Gehls Ansatz, die sich wandelnden Lebensbedürfnisse ebenso zu berücksichtigen, wie ganzheitliche, gestalterische Prozesse, erscheint mir auch für die Ringstraße zukunftsweisend. Der öffentliche Raum eines Boulevards, mit Alleen, den Wegen für Fußgänger und Radfahrer, den angrenzenden Freiräumen soll als Treffpunkt für Stadtbewohner fungieren und für soziale Interaktionen verbessert werden. So könnte die Ringstraße etwas von dem vergangenen Flair durch ganzheitliche Planungsideen in einen neuen Mehrwert für die Stadt und die Bewohnerinnen und Bewohner wandeln.“
Artikel #127958022
Kommentare