Dutzende Male spürt eine Karak-Fliese menschliche Nähe, ehe sie sich auf eine Reise rund um den Globus begibt. Ein Besuch in Schlins, wo im Drei-Mann-Betrieb keramische Bodenplatten digital designt, nach alter Technik gebrannt und durch glühende Sägespäne geschwärzt werden.
Sebastian sieht aus wie ein Stahlgießer: Die Finger stecken in dicken Handschuhen, der Körper in einem silbernen Schutzanzug und auf dem Kopf trägt er einen Helm mit Schild. Die Montur soll ihn vor der Hitze schützen, die der knapp 1000 Grad heiße Ofen abstrahlt.
Mit einer langen Zange holt er eine Fliese nach der anderen heraus und taucht sie sofort in ein Bad aus Sägespänen. Diese entzünden sich an der heißen Keramik, Funken sprühen und ein Räucherprozess beginnt. "Unglasierte Bereiche färben sich durch die Einlagerung von Kohlenstoff schwarz", erklärt er. Thomas, deutlich legerer angezogen, schnappt sich unterdessen eine mit Essigreiniger gefüllte Flasche und schüttet den Inhalt mit einer schwungvollen Bewegung über die Keramik. Es zischt, die Flüssigkeit verdampft in Sekunden.
"Jetzt muss man putzen! Wenn die Fliesen aus den Sägespänen kommen, sind sie noch ganz dunkel. Erst durch das Reinigen kommt die Glasur zum Vorschein", ruft er. Beherzt greift er zum Schwamm, drückt ihn auf die frisch gebrannte Keramik und reibt in kreisenden Bewegungen über das Sechseck. Und tatsächlich: Jeder Wisch verändert den Farbton und enthüllt etwas mehr vom Charakter der Fliesen. Erst kommt Rot ans Licht, dann Gelb und schließlich tritt das Muster in Türkis hervor.
Karak – dahinter steckt ein Drei-Personen-Betrieb rund um die Keramikkünstlerin Marta Rauch-Debevec und ihrem Sohn Sebastian Rauch. Werkzeugbauer Thomas Rösler komplettiert das Trio seit dem vergangenem Jahr. Mit dabei ist er aber schon länger: "Sebastian und ich haben immer wieder getüftelt, wie man die Herstellung verbessern könnte. Irgendwann hab ich dann meinen alten Job gekündigt, bin nach Wien gezogen und habe Handwerk und Design studiert. Seit meinem Abschluss kümmere ich mich nun um die Prozessoptimierung.""Daraus ergeben sich viele Synergien", sagt Marta Rauch. Thomas bringe handwerkliches Geschick, Sebastian das Gestalterische und sie selbst steuere die künstlerische Komponente bei. "Dadurch sind wir flexibel und können schnell auf Kundenwünsche reagieren", ergänzt Sebastian. Eine Fähigkeit, die sie immer häufiger unter Beweis stellen dürfen: "Derzeit entwickeln wir einen speziellen Farbton für Kunden aus der Schweiz. Wir fertigen Proben an und tasten uns so lange Schritt für Schritt heran, bis wir die richtige Nuance gefunden haben."
Der Raku-Brand ist keine einfache Arbeit. Im Gegenteil: viele Handgriffe sind nötig. Bei Karak, das Palindrom steht sinnbildlich für die Worte Keramik und Raku, spürt eine Fliese 36-mal menschliche Nähe. Das beginnt beim Erstellen der hauseigenen Keramikmischung aus Ton, Lehm und Schamott, die per Hand in Form gebracht wird. Geht über die Glasur, die nach eigener Rezeptur zusammengerührt wird. Und reicht bis zum letzten Moment, dem Schrubben der Fliesen. Es ist ein aufwendiger Prozess, der Ausdauer, Geschick und Schnelligkeit erfordert. "Rohlinge müssen erst zehn Tage aushärten, ehe sie bei rund 150 Grad vorgebrannt werden können", erklärt Rösler. Dann folgt der Druck und ein weiterer Brennvorgang bei ca. 1000 Grad. Das Resultat ist ein einzigartig schönes, aber auch teures Pflaster: Mindestens 590 Euro pro Quadratmeter muss man für die Unikate locker machen.
All das passiert in einer kleinen Werkstatt im vorarlbergerischen Schlins, einer 2500-Seelen-Gemeinde im Walgau. Martas Mann Martin Rauch stellt hier auch Stampflehmwände und Kachelöfen her. Nur ein paar Gehminuten entfernt thront ein aufstrebender Kubus auf dem Hang, den die Familie seit 2008 bewohnt. Das Rauch-Haus – errichtet aus Stampflehm – wurde vielfach publiziert, prämiert und stellt zugleich den Anfang von Karak dar.
Entgegen der Vorstellung des Architekten, der das Haus gemeinsam mit dem Bauherren plante, sollte Farbe im Heim Einzug halten – und zwar in Form von selbstgebrannten Bodenfliesen in Raku-Technik. Sebastian absolvierte zu dieser Zeit eine Lehre als Druckstufentechniker. "Ich begann, am Computer mit Formen zu experimentieren", erzählt er. Daraus entstanden jene Muster, die sich heute KuQua, VeSta, SaKra oder KoHo nennen."Ich wusste sofort, das müssen wir auf Keramik bringen", erinnert sich die Künstler-Mama. So nahm die Geschichte ihren Lauf: Die Familie schweißte Pressformen, mischte Glasuren, probte Siebdruck und versuchte, die richtige Temperatur für den Ofen zu finden. "Der Raku-Brand ist eine Wissenschaft für sich. Schon ein Unterschied von nur zehn Grad kann zu anderen Farben führen", beschreibt Sebastian das Unterfangen.
Während das abstrakte Design mit moderner Software am Computer entsteht, ist der Raku-Brand alles andere als neuartig. Die Technik wurde bereits vor Hunderten Jahren in Japan entwickelt. In Kombination mit den digital entstandenen Dekoren stellt der archaische Prozess die perfekte Symbiose aus neuer und alter Technik dar.
Für industrielle Betriebe wäre dieser Vorgang viel zu aufwendig. "Wir hören oft, dass die Methode nur für Einzelobjekte taugt", sagt Sebastian. Doch die Jungunternehmer frönen einem gewissen Hang zur Anarchie. Sie wollen Grenzen ausloten: "Wir ruhen uns nicht darauf aus, wenn jemand sagt, dass etwas nicht geht. Wir probieren es trotzdem, denn aus eigenen Fehlern zu lernen, ist wichtig. Es reizt uns, wenn andere denken, dass wir falsch liegen und am Ende doch erfolgreich sind." Wie Referenzobjekte im ganzen deutschsprachigen Raum belegen, geht diese Strategie auf: Private Bauherren wie öffentliche Auftraggeber haben sich die geräucherten Kacheln schon ins Haus geholt. Sogar nach Neuseeland sind sie bereits geschickt worden.
Geht es nach den Vorstellungen des Trios, sollen noch mehr Menschen auf die Unikate aus Schlins treten. "Unser Ziel ist, davon leben und Mitarbeiter beschäftigen zu können", sagt Thomas und beginnt wieder zu schrubben. Sebastian hievt eine Platte nach der anderen aus den Sägespänen auf den Arbeitstisch. Zügig bearbeitet er die Oberfläche, so lange, bis der Farbton die gewünschte Intensität erreicht. Begeisterung blitzt in seinen Augen auf, als er feine, rotschimmernde Konturen entdeckt. "Das sind Rückstände vom Kupfer, das in der Glasur enthalten ist. Es erzeugt besonders schöne Reflexe und lässt unsere Fliesen nicht so glatt und homogen aussehen wie industrielle Produkte." Genau diese Perfektion der Imperfektion zeichnet das Wesen der Fliesen aus. Ihr wahrer Charakter offenbart sich nämlich erst im letzten Arbeitsschritt, wenn der Essigreiniger die Glasur freilegt.
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