Helsinki: Weltdesignhauptstadt 2012
Es ist ein kalter Nachmittag in Helsinki. Die Sonne scheint, aber das Thermometer zeigt nur 10 Grad Celsius. Für viele Finnen bedeutet das: Sommer. Vor allem Jugendliche sind mit Sandalen, kurzen Hosen und ärmellosen Shirts unterwegs. Das überrascht – genauso wie die Tatsache, dass man in der ganzen Stadt auf Klassiker des finnischen Designs trifft: Die typisch gewellte "Savoy" Vase von Alvar Aalto, bunt gemusterte Kissen von Marimekko oder die berühmten Iittala-Gläser von Tapio Wirkkala – all das gehört zum Interieur von Helsinki und findet in gewöhnlichen Cafés ebenso Verwendung wie in exquisiten Restaurants und Bars.
Kunst und Design sind wie Lakritze und geräucherter Fisch fixer Bestandteil der finnischen Kultur. So wird etwa Alvar Aalto, berühmtester Architekt und Gestalter des Landes, so verehrt wie Mozart in Österreich. Dieses ästhetische Bewusstsein – vom Polsterkissen bis zur Stadtentwicklung, vom Imbiss-Stand bis zur Großraumarchitektur – hat auch die internationale Organisation für Industrial Design (ICSID) erkannt und Helsinki zum "World Design Capital 2012" ernannt.
Aus diesem Anlass entstanden viele neue Bauwerke. Anschauliches Beispiel ist die Kapelle der Stille – ein ovaler Bau aus hellem Holz ohne Fenster. Die Kirche sticht auf dem großen Kamppi-Platz inmitten der Einkaufszentren hervor. Das liegt an ihrer reduzierten Formensprache und an der Materialwahl. Nicht nur die Fassade, auch der 11,5 Meter hohe Sakralraum bestehen komplett aus Holz.
Ein weiterer Beweis für moderne Holzbau-Architektur ist der "Paviljonki", der als überdachte Terrasse konzipiert ist. Der Veranstaltungsort basiert auf Entwürfen von Pyry-Pekka Kantonen, einem Studenten der Aalto-Universität. Seine Dachkonstruktion besteht aus hölzernen Dreiecken, die in Kombination mit transparenten Vorhängen eine offene Atmosphäre schaffen.
Außer montags finden täglich kostenlose Veranstaltungen statt: Yoga-Kurse, Filmvorführungen, Podiumsdiskussionen und Partys. Am Wochenende schlagen Design-Märkte ihre Zelte auf.
Das Kiasma Museum für zeitgenössische Kunst ist ein weiteres Highlight. Der Bau des amerikanischen Architekten Steven Holl ist ein Kunstwerk an sich. Es spielt mit Ecken und Rundungen, in der gläsernen Fassade spiegelt sich die Wasserfläche vor dem Museum wider. Im Inneren überraschen Kanten und Vorsprünge, asymmetrische Wände sowie Wendeltreppen und Rampen, die die Räume miteinander verbinden.
Im Nordosten Helsinkis sticht der Schornstein der Arabia-Fabrik, Finnlands altehrwürdiger Porzellanmanufaktur, von Weitem ins Auge. Hier wird bis heute – zum Teil in Handarbeit – Geschirr und Keramik hergestellt. Namhafte Gestalter wie Kaj Frank oder Tapio Wirkkala haben für die Marke gearbeitet. "Heute sind es acht Künstler, sogenannte Resident Artists, die neue Entwürfe und Muster für Arabia produzieren", sagt Kristiina Kobayashi vom Fiskars-Konzern, zu dem Arabia und die Glasdesign-Marke Iittala sowie der Stahlwaren-Hersteller Hackman mittlerweile gehören. Vorbeischauen lohnt sich: Im Outlet lassen sich Sonderkollektionen oder 2. Wahl-Ware auch am Sonntag günstig einkaufen.
Ein schwarzer Punkt mit weißer Aufschrift klebt an über 200 Türen und Fenstern. Er kennzeichnet etablierte Designlabels und Newcomer, die sich unter dem Namen "Design District Helsinki" zusammengeschlossen haben. Angesiedelt sind sie unter anderem in den Straßen Bulevardi, Fredrikikatu und Uudenmaankatu. Neben Marimekko oder Artek gibt es vor allem schräge Shops junger Designer, die Mode, Schmuck, Deko und Interieur verkaufen. Außerdem gibt es winzige Werkstätten und Antiquariate zu entdecken, die Originale aus früheren Jahrzehnten verkaufen.
Im Design Forum , einer Plattform für Trends und Klassiker werden bekannte Entwürfe und ausgefallene Ideen aufstrebender Kreativer ausgestellt und verkauft. Kerngeschäft: die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittelständischer Betriebe zu fördern und heimisches Design als Kulturgut zu vermitteln.
Neben Design made in Finnland gibt es hier außerdem "die besten Kuchen der Stadt", versichert Laila Alanen, Projektmanagerin des Design District Helsinki. "Probier ein Stück", sagt sie. Und wirklich: Der Heidelbeerkuchen schmeckt phänomenal und ist mit so viel Hingabe zubereitet, wie eine Artek oder Marimekko-Kollektion gestaltet ist. Ästhetik wird im Norden eben großgeschrieben – auch der Patisserie wird hier der letzte Schliff verpasst.
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