Frei Otto: Der Dachakrobat

Frei Otto: Der Dachakrobat
Federleicht und elegant spannen sich Frei Ottos Konstrukte über Stadien und Hallen, Zoogehege oder Konzertbühnen. Posthum wurde er mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet.

Sie sind das Sahnehäubchen der Architektur: Während herkömmliche Dächer wie Deckel auf Gebäuden sitzen, muten Frei Ottos Konstruktionen wie von Konditorenhand aufgetragene, glänzende Baiser-Spitzen an.

Frei Otto: Der Dachakrobat
Nirgendwo besser kann man das beobachten als in München: Dort realisierte er in den 1970er-Jahren gemeinsam mit Günther Behnisch das Olympia-Areal und überdachte es mit einem lichtdurchlässigen Zeltdach – damals freilich ohne Computer und Zeichenprogramm. Knapp 75.000 Quadratmeter misst die Konstruktion aus transparentem Plexiglas, die an 58 Stahlmasten hängt. Das Dach galt schon bei seiner Errichtung als statische und optische Sensation. Und auch heute, vier Jahrzehnte später, wirkt der Komplex nach wie vor modern und seiner Zeit voraus.
Frei Otto: Der Dachakrobat
Kaum vorstellbar, dass das Ganze nach den Olympischen Spielen eigentlich hätte abgebaut werden sollen. Aber weil das internationale Echo auf den Stadionbau so positiv ausfiel, sah man von einer Demontage ab. Das Dach wurde Ende der 1990er-Jahre saniert und verschmutzte Plexiglas-Teile wurden ausgetauscht. Bis heute wird die Arena unter anderem für Sportveranstaltungen, Großkonzerte und Opernaufführungen genutzt. Zudem entpuppt sich das Zeltdach als Besuchermagnet: Im Sommer kann die Konstruktion im Rahmen geführter Touren bestiegen und aus nächster Nähe begutachtet werden. Schwindelfreie können sich von oben etwa 40 Meter in die Tiefe abseilen lassen.
Frei Otto: Der Dachakrobat
Mit dem Beschirmen beschäftigte sich der Visionär des organischen Bauens zeit seines Lebens. Auch abseits des Olympia-Stadions gibt es etliche Projekte, mit denen er sich in die Geschichte des Bauens einschrieb. Mitte der 1950er-Jahre plante er etwa ein Segel für einen Musikpavillon zur Bundesgartenschau in Kassel. In den Sechzigerjahren folgte die St.-Lukas-Kirche in Bremen und 1967 spannte er ein großes Spinnennetzdach über den deutschen Pavillon für die Weltausstellung in Montreal.

Später folgten der Japanische Pavillon für die Expo 2000 in Hannover, den er gemeinsam mit Shigeru Ban entwarf, eine über 5000 Quadratmeter große Voliere für den Tierpark Hellabrunn in München, eine Multihalle in Mannheim und der Tuwaiq Palace in Riad (Saudi-Arabien), der ebenfalls seine Handschrift trägt.

Frei Otto: Der Dachakrobat
Im März dieses Jahres verstarb Frei Otto zwei Monate vor seinem 90. Geburtstag. Posthum wird der Pionier des Leichtbaus nun mit dem Pritzker-Preis geehrt, der als "Nobelpreis der Architekten" gilt. Otto sei nicht nur Architekt, sondern auch "Forscher, Erfinder, Form-Finder, Ingenieur, Baumeister, Lehrer, Mitarbeiter, Umwelt-Aktivist, Humanist und Schöpfer unvergesslicher Gebäude und Orte" gewesen, begründete die Jury des Pritzker Preises ihre Wahl. Frei Otto ist nach Gottfried Böhm 1986 erst der zweite deutsche Architekt, der den seit 1979 jährlich verliehenen Preis erhält.
Frei Otto: Der Dachakrobat
Von der Ehrung hat Otto noch vor seinem Tod erfahren, berichtete die New York Times. "Ich habe nie etwas getan, um diesen Preis zu erhalten", habe er der Jury daraufhin gesagt. "Das Gewinnen von Preisen ist nicht mein Lebensziel. Ich versuche, armen Menschen zu helfen. Aber was soll ich sagen, ich bin sehr glücklich."
Frei Otto: Der Dachakrobat
„Frei Otto – forschen, bauen, inspirieren“

Die Autoren Irene Meissner und Eberhard Möller zeigen anhand zahlreicher Bilder die Bandbreite des Schaffens von Frei Otto auf.

128 Seiten, Edition Detail,
€ 34,–

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