Mein Zimmer überrascht mich, es bietet mehr als erwartet: Es gibt ein Waschbecken, einen Kleiderschrank, ein Doppelbett und einen Schreibtisch mit zwei Stühlen. Und es gibt einen Balkon, ein rampenartiger Austritt, der ins Freie führt. WC und Dusche sind am Gang – nicht ideal, aber da es sich um ein ehemaliges Studentenheim und nicht um ein Hotel handelt, kann man für eine Nacht darüber hinwegsehen. Abgesehen davon lassen ohnehin andere Dinge das Herz höher schlagen: die Hocker von Marcel Breuer, Lampen von Wilhelm Wagenfeld und Stühle von Mart Stam – mehr Bauhaus geht nicht.
Als weltweit erste Schule für Gestaltung ging das Bauhaus in die Geschichte ein. 1919 in Weimar gegründet, übersiedelte die Schule 1926 in das von Walter Gropius geplante Gebäude nach Dessau. Möbel sollten nicht nur schön sein, sondern auch eine Funktion erfüllen, auf Schnörkeleien und Verzierungen wurde verzichtet. Deshalb wurde ich auch vorgewarnt: Ungemütlich, nüchtern und schlicht sei es hier. Besucher können seit knapp einem Jahr in den Zimmern einstiger Bauhäusler wie Josef Albers und Franz Ehrlich übernachten. Eine einfache Unterkunft, die für Studenten in den 1920er-Jahren purer Luxus gewesen sein muss.
Die Abendsonne wirft ihr Licht durch die Balkontüre auf das kirschrote Interieur. Ein Naturschauspiel, das sich von meinem Zimmer aus gut beobachten lässt. Schließlich ist hier nichts, was ablenkt. Internet oder Fernseher? Fehlanzeige. Deko und Accessoires? Nicht vorhanden. Kein Bild, kein Zierkissen, kein Teppich. Gut möglich, dass genau diese Schlichtheit es so einfach macht, das Bauhaus zu mögen. Sie zeigt, dass man mit Wenig gut zurecht kommt und vermittelt ein Gefühl von Beständigkeit: Was sich seit fast 100 Jahren bewährt, kann nicht so falsch sein. Gerade weil Wohnraum immer knapper und teurer wird, tut es gut zu sehen, wie man seinen persönlichen Bedarf reduzieren kann. Weniger Krims-Krams bedeutet weniger Stauraum und geringeren Platzbedarf.
Man nimmt sich vor auszumisten, sobald man wieder Zuhause ist. Ja, es gäbe genug Gläser und Vasen, Weihnachtskugeln und Souvenirs von denen man sich trennen könnte. Täte man es, würde man mit Platz für Neues belohnt – oder mit Leere. Denn die entspannt das Auge und lässt uns ruhiger werden. Ein weiterer Punkt, der für das Bauhaus spricht: In einer Zeit, in der jeder ständig von irgendwas gestresst ist, könnte Dessau zum Geheimtipp für Ruhesuchende werden. Spätestens beim zu Bett gehen merkt man nämlich, dass man weder Flokati noch Flat-Screen vermisst. Manchmal dürfte es aber trotzdem etwas mehr sein: Eine Nachttischlampe etwa, damit man nicht nochmal aufstehen muss, um das Licht zu löschen. Oder dickere Wände, um das Schnarchen aus dem Nachbarzimmer nicht zu hören. Denn so genial das Bauhaus in seiner Schlichtheit ist: Die nasale Geräuschkulisse von nebenan hätte man sich auch nicht erwartet.
Die neuen Gästezimmer im Prellerhaus des Bauhauses Dessau kosten pro Nacht zwischen 35 und 45 Euro (am Wochenende bis zu 60 Euro). Sie können unter Tel. +49/340/65 08-318 oder per Email an unterkunft@bauhaus-dessau.de gebucht werden.
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