"Der Größenwahn nimmt ab"

Dietmar Steiner, ehemaliger Direktor des Architekturzentrums Wien (Az W).
Dietmar Steiner geht es jetzt gelassen an: Mit Jahreswechsel hat er die Leitung des Architekturzentrum Wien abgegeben. IMMO hat ihn an einem seiner letzten Arbeitstage zum Gespräch getroffen. Über egomanischen Größenwahn, politische Willenlosigkeit und die Notwendigkeit, sachlich über Architektur zu diskutieren.

KURIER: Ihr Büro wirkt schon recht aufgeräumt – haben Sie schon alles zusammengepackt?
Dietmar Steiner: Die Schachteln mit den persönlichen Sachen sind abtransportiert. Die Notwendigkeit für einen Schreibtisch habe ich nie gesehen – dank Laptop kann man arbeiten, wo immer man ist. Das Wichtigste waren wohl die Manner-Schnitten, mit denen ich privat den Schnittomat im Büro regelmäßig befüllt habe – gegen den Zuckereinbruch, der die Mitarbeiter oft heimsuchte.

Sie haben das Az W über 20 Jahre geleitet. Worum geht’s in Ihrer letzten Schau "Am Ende: Architektur"?
Die Kuratorinnen haben sich durch mein Archiv gewühlt und aus den Materialien, die ich über die Jahre gesammelt habe, einen Rückblick auf 60 Jahre Architektur zusammengestellt. Es geht in den 1960ern los, als eine absolute Zukunftsgläubigkeit herrschte – der Traum von atomgetriebenen Autos, die Raumfahrt und der Sputnik-Schock. Wolf D. Prix spricht heute noch davon, dass es damals das einprägsamstes Erlebnis war, die Erdkugel erstmals von außen zu sehen.

'Grande Arche' im Hochhausviertel La Défense bei Paris wurde 1998 eröffnet.
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Paul Maurer/ Bildrecht Wien 2016
Wie ging die Entwicklung weiter?
In den 1970ern wurde diese Euphorie durch die Öl- und Wirtschaftskrise abrupt gebremst. Es folgte ein Theoriejahrzehnt: Bürgerbewegungen kamen auf, es wurde viel diskutiert und neue Grundlagen geschaffen. In den 1980ern setzte der Stararchitekten-Boom ein. Jeder wollte 15 Minuten berühmt sein. Das Ganze gipfelte Anfang der 1990er-Jahre, als die ersten Globalisierungseffekte einsetzten. Ab dem Jahr 2000 formierte sich eine Gegenbewegung. Rem Koolhaas verkündete 2009: "Die Stararchitektur ist zu Ende". Dieser Satz war berechtigt, vor allem in Bezug auf die Entwicklung der Rendering-Software – sie hat die Darstellung maschinell vereinheitlicht. Man konnte nicht mehr unterscheiden, ob das Projekt von Frank Gehry oder einem kasachischen Architekturstudenten stammt. Beide brachten plötzlich dasselbe zusammen.

Wie ist die aktuelle Lage?
Es gibt mehr kritisches Bewusstsein. Der egomanische Größenwahn nimmt ab, soziale Fragen rücken in den Fokus. Es tauchen reflexivere, nachdenklichere Projekte auf. Ich habe den Eindruck, dass junge Architektinnen verstärkt soziale Verantwortung wahrnehmen möchten – wenn sie dürften.Woran scheitert es? Es gibt längst einen Gegenpart zur Investorenopulenz. Das französische Büro Lacaton & Vassal etwa hat schon in den 1990ern gezeigt, wie man viel Raum für wenig Geld und Aufwand schafft. Sie werden heute als Stars gefeiert. So gesehen bin ich guter Dinge, dass sich wieder etwas bewegt. Ich halte Bottom-up-Projekte, wie jene von Anna Heringer etwa, oder die Lehmbauten von Martin Rauch für existentiell und weltpolitisch wichtig. Nur die Industrie ist daran nicht interessiert. Und die Politik auch nicht.

War es schon immer Ihr Traum, eine Institution wie das Az W zu leiten?
Nein, ich wollte keinesfalls Kulturklinken putzen. Anfangs sollte ich nur ein Konzept erstellen. Dann bat man mich, es auch umzusetzen. Damals wusste ich nicht, dass das meine Bestimmung ist.

Was hat Sie davon abgehalten?
Es gab keinen Diskurs in der österreichischen Architektur. Sie war nie intellektuell, immer nur Baucharchitektur. Mein Schlüsselerlebnis hatte ich schließlich während meines Architekturstudiums: Ich habe ständig nach dem Grund gefragt, warum ein Entwurf ist, wie er ist. Der Professor meinte damals: "Sagen Sie als Architekt einfach: Ich will das so." Das war mir als Begründung zu wenig. So begann ich, im Ausland an Diskussionen und Konferenzen teilzunehmen.

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KURIER/Franz Gruber
Dietmar Steiner
Dietmar Steiner, Direktor des Architektur Zentrum Wien (AZW), am 17.06.2015 in Wien
Inwiefern ist Ihre kritische Haltung in die programmatische Ausrichtung des Az W eingeflossen?

Ich habe versucht, die internationale Debatte nach Wien zu holen und nicht nur Schaufenster für lokale Leistungen zu sein. Und es war mir wichtig, heimische Architektur im Ausland bekannt zu machen. Dazu haben wir die Reihe "Emerging Architects" für Nachwuchstalente initiiert. Ziel war es, den Diskurs zu internationalisieren. Obwohl wir uns nie über Besuchermangel beschweren mussten ist das – rückblickend betrachtet – hierzulande nicht angekommen. Der Diskurs ist noch immer nicht sachlich fundiert.

Kränkt Sie dieser Umstand?
Überhaupt nicht. In der "Design-Build"-Bewegung, die wir befördert haben und bei der Studierende Unterkünfte für Arme planen und bauen, sind wir mittlerweile weltweit führend. Das weiß man überall, nur in Österreich nicht. In unserer globalisierten Welt gibt es verschiedene Informationsnetze. Den einen erreicht es, den anderen nicht. Deshalb muss man nicht beleidigt sein.

Die Fußgängerbrücke 'Luchtsingel' verbindet seit 2015 unwirtliche Viertel in Rotterdam
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Ossip van Duivenbode
Können Sie also zufrieden auf Ihr Werk zurückblicken?

Es war ein Riesenglück, eine Institution, die die wichtige kulturelle Verantwortung der Architektur wahrnimmt, aufzubauen. Ich bin allen Beteiligten dankbar, dass das gelungen ist. Es war auch gut, dass uns der Vorstand immer penibel auf die Finger geschaut hat. So sind wir zu einer der produktivsten Kulturinstitutionen des Landes geworden. Ich bin sehr stolz, dass ich ein gut funktionierendes Haus übergeben kann.

Was war das schönste Projekt in Ihrer Laufbahn – und warum?
Die "Bus:Stops" in Krumbach im Bregenzerwald. Weil es eine Privatinitiative war, die rein von Sponsoren finanziert war und weil alle mit Freude und Begeisterung mitgemacht haben. Und es gab die größte Medienresonanz, die ich je hatte. Ich habe ein halbes Jahr lang nur Interviews gegeben, weltweit.

Vorarlberg gilt in Sachen Architektur als Vorzeige-Bundesland. Was machen sie richtig?
Gute Architektur ist das Ergebnis politischer Entscheidungen. Denn die Rahmenbedingungen werden von Bürgermeistern festgelegt, nicht von Investoren. In den 90er-Jahren hat es das auch in Wien gegeben: Helmut Zilk, Ursula Pasterk und Hannes Swoboda waren sehr architekturaffine Politiker, die Pionierarbeit gefördert haben. Das ist verloren gegangen. Heute gibt es Politiker, die einen Müllkübel als Büro haben wollen.

,Nakagin Capsule Tower' in Tokio: Einst Sinnbild für eine moderne Stadt, heute vom Abriss bedroht.
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Tomio Ohashi
Gibt es etwas, dass Sie am Az W noch gerne gemacht hätten?

Ich wollte immer eine Josef Frank Ausstellung machen, weil ich finde, dass er eigentlich der wichtigste Architekt des 20. Jahrhunderts war. Leider ist das nie zustande gekommen, aber ich bin froh, dass das MAK vergangenes Jahr diese großartige Schau gezeigt hat. Auch das Thema "Recht" hätte mich interessiert. Das ist in den letzten Jahren richtig groß geworden. Früher hat die Bauherrschaft, auch die öffentliche, viel mehr auf Augenhöhe und Respekt mit den Architekten gearbeitet. Heute haben Juristen die Herrschaft über den Bauprozess übernommen. Angelika Fitz, meine Nachfolgerin, plant dazu in nächster Zeit eine Ausstellung – auf die ich schon sehr neugierig bin.

Wie zufrieden sind Sie mit der Wahl Ihrer Nachfolgerin?
Sehr. Sie hat nicht nur Erfahrung als Kuratorin, sondern auch als Geschäftsfrau. Ich kann mir im Moment niemanden vorstellen, der besser geeignet wäre.

Andrea Maria Dusl hat einen sehr persönlichen Film über Sie gedreht. Darin sieht man auch Ihren Hof in Nöchling. Wird man Sie dort in Zukunft öfter antreffen?
Ja, darauf freue ich mich schon. Dieses Jahr baue ich noch einen Archivraum dazu, damit ich meine Bibliothek und meine Sammlung übersiedeln und in Ruhe ordnen kann. Denn mit der Pension allein, kann ich mir die Wiener Wohnung nicht mehr leisten.

Zur Person

Dietmar Steiner feierte am 31. Dezember 2016 nicht nur seinen letzten Arbeitstag – sondern auch seinen 65. Geburtstag. Er nimmt seit mehr als 40 Jahren am internationalen Architekturdiskurs teil und ist als Publizist, Kritiker, Juror und Berater in den Bereichen Architektur und Städtebau aktiv. Von 1993 bis 2016 war er als Direktor des Az W tätig und hat es zum nationalen Architekturmuseum mit internationaler
Bedeutung entwickelt.

Zur Ausstellung

"Der Größenwahn nimmt ab"
Zum Abschied von Gründungsdirektor Dietmar Steiner zeigt das Az W die Ausstellung „Am Ende: Architektur. Zeitreisen 1959–2019“ (kuratiert von Karoline Mayer, Sonja Pisarik und Katharina Ritter). Sie liefert einen pointierten Rückblick auf das Architekturgeschehen seit 1960. Das Material stammt aus der Privatarchiv des Architekturkenners: Bis 20. März kann man noch durch die zahlreichen Artikel, Essays, Interviews und Analysen aus Steiners Sammlung stöbern. Täglich von 10–19 Uhr im MuseumsQuatier Wien. www.azw.at

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