Unbekannte Moderne

Unbekannte Moderne
Die Architektur, die in den Sowjetstaaten seit den Fünfzigern entstanden ist, wurde bisher kaum untersucht. Eine Ausstellung im AzW will diese Lücke schließen.

Palastartige Gebäude mit verzierten Fassaden, opulenten Säulenhallen und Türmen: Die Architektur unter Stalin ist weitgehend erforscht. Bis heute prägen Prunkbauten im sogenannten „Zuckerbäckerstil“ das Bild vieler Städte der ehemaligen Sowjetunion. Von Russland über Armenien bis nach Litauen sind die gigantischen Kolosse zu finden.

Mit Stalins Tod im Jahr 1953 endete nicht nur seine Gewaltherrschaft über die Länder der ehemaligen UdSSR und Osteuropa, sondern auch der konstruktivistische Baustil. Die Moderne hielt in vielen Lebensbereichen Einzug – auch in der Architektur. Doch über die Bauweise, die in den Jahrzehnten nach Stalins Tod praktiziert wurde, weiß man noch wenig.

Unbekannte Moderne
Drei Forscherinnen des Architekturzentrums Wien richten ihre Aufmerksamkeit nun auf die Gebäude, die zwischen den Fünfzigern und Neunzigern entstanden sind. Katharina Ritter, Ekaterina Shapiro-Obermair und Alexandra Wachter untersuchten, was nach Stalins Herrschaft auf dem Bausektor passiert ist. Ihre Ergebnisse, die das Architekturzentrum Wien (AzW) nun in einer Ausstellung zeigt, sind in Zusammenarbeit mit lokalen Experten, Architekten und Zeitzeugen entstanden.

Im Fokus steht nicht Russland, sondern vier Regionen: das Baltikum, der Kaukasus, Zentralasien und Osteuropa. 14 Mitgliedsstaaten werden hinsichtlich ihrer architektonischen Besonderheiten untersucht: Armenien, Aserbaidschan, Estland, Georgien, Kasachstan, Kirgistan, Lettland, Litauen, Moldawien, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan und Weißrussland.

Unbekannte Moderne
Entsprechend der vier untersuchten Regionen ist auch die Schau räumlich strukturiert. Dabei soll deutlich werden, dass die geografischen Gegebenheiten architektonische Parallelen aufweisen. Die baltischen Länder Estland, Lettland und Litauen, wo sich die Moderne nach dem Niedergang der UdSSR am stärksten entwickeln konnte, orientierten sich an der skandinavischen Architektur. Die Gebäude in den osteuropäischen Ländern wie Weißrussland oder Moldawien weisen hingegen Ähnlichkeiten mit russischen Bauwerken auf.

Ob Sprungturm, Kulturkomplex, oder Museum: All diesen Bauten wohnt der Charme der 1950er-Jahre inne. Einst markierten sie den Aufbruch in eine neue Ära und bis heute zeugen sie von der Vielfalt lokaler Stile und Formen.

Das Architekturzentrum Wien untersucht erstmals die Architektur nicht russischer Sowjetrepubliken, wie etwa die 1971 erbaute Gedenkstätte der Heldenfestung (links) in Brest in Weißrussland. Experten aus Ost und West haben untersucht, wie im Baltikum, im Kaukasus, in Zentralasien und in Osteuropa nach dem Tod Stalins bis zum Ende der UdSSR 1991 gebaut wurde. Die Ergebnisse sind bis 25. Februar 2013 im AzW ausgestellt. An einem Mittwoch pro Monat werden Führungen angeboten (12.12, 18.01, 08.02, 18 Uhr). Begleitend dazu ist auch eine Publikation erschienen, in der Fotografien, Analysen und Rückblicke gesammelt sind.

www.azw.at

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