Auf höchster Stufe

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Seit Jahrtausenden sind Treppen das wichtigste Bindeglied zwischen zwei Etagen. Ihnen kommt aber auch große architektonische Bedeutung zu. Bei der Gestaltung moderner Häuser spielen sie heute eine zunehmend wichtigere Rolle.

Die älteste erhaltene Holzstiege Europas wurde 2004 im Salzberg im oberösterreichischen Hallstatt entdeckt. Wissenschaftlern ist es gelungen, sie auf ein Alter von genau 3349 Jahren zu datieren – ein Sensationsfund aus dem Jahr 1334 vor Christus und ein Beleg, wie weit ihre Geschichte zurückreicht. Schon Primaten errichteten Lagerplätze auf unterschiedlichen Niveaus und nutzten Stufen, um die Geländehöhe einigermaßen sicher und bequem zu erreichen. Dies taten unsere Vorfahren vor allem aus Sicherheitsgründen: Waren sie oben, waren sie sicher vor Angreifern.

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Werknutzungsbewilligung für Arch DI Paul Wichert Architekturbüro 1 ZT GmbH, Linz
Neben der reinen Erschließungsfunktion besitzen Treppen seit jeher auch Symbolkraft. Antike Tempel und Herrscherpaläste etwa verfügten über monumentale Freitreppen, die es ehrfürchtig zu erklimmen galt. In Kirchen und Kathedralen waren Treppen Sinnbild der Verbindung zwischen Himmel und Erde. Dagegen dienten sie in Burgen und Schlössern der Kriegsführung: Wendeltreppen wurden so konstruiert, dass sie rechtsherum gewunden waren. Dadurch konnte der oben stehende Verteidiger mehr Kraft in seine Attacken legen.

Symbolkraft

Seit dem Mittelalter baute man auch in Wohnhäusern zunehmend über mehrere Geschoße, weshalb Stiegen immer wichtiger wurden. Sie sollten aber nicht nur Ebenen verbinden: Im 18. Jahrhundert gaben sie etwa Auskunft über die Gesellschaftsschicht. Je flacher die Stufen und länger die Anlage, desto wohlhabender die Bewohner. Je höher die Stufen und steiler der Aufgang, desto bescheidener die Verhältnisse.

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Treppen wurden zunehmend Ausdruck von Würde und Reichtum. Mit keinem Mittel ließen sich Hierarchien und Machtunterschiede architektonisch besser umsetzen. Dieser Ansatz gipfelte im Barock: In dieser Epoche entstand eine Vielzahl prunkvoller Bauten mit prächtigen Stiegenhäusern – Schlösser, Palais und Klöster wurden mit üppigen Treppenläufen zur Inszenierung des Empfangs errichtet. Der Besucher wurde von oben herab begrüßt und konnte Rang und Wohlstand des Gastgebers erkennen. Eine Symbolik, die über die Jahrtausende hinweg als Element hierarchischer Architektur in nahezu allen Staatsformen aktuell blieb.

Schwebendes Designobjekt

Die repräsentative Eigenschaft ist in Ein- und Zweifamilienhäusern heute eher zweitrangig. Treppen erfüllen hier eine andere übergeordnete Funktion: Mit ihren Materialien und Konstruktionen prägen sie das Innere des Hauses entscheidend mit. "Treppen sind ein beliebtes Element um Räume zu definieren, zu gliedern oder aufzuwerten", sagt Daniel Sauter vom Büro k_m architektur. Er realisierte bereits zahlreiche mehrgeschoßige Häuser und weiß, wie breit die Gestaltungsmöglichkeiten sind.

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So können Treppen etwa als freischwebende Skulptur, als raumbildendes Element oder als Bestandteil der Innenarchitektur, etwa als Raumteiler oder als Möbel zur Aufbewahrung, in Wohnräume integriert werden. "Wichtig ist, die Anlage von Beginn an in die Planung mit einzubeziehen", sagt Sauter. "Bei dem Wunsch nach einem räumlich fließenden Übergang der unterschiedlichen Ebenen ist eine Treppe in der Raummitte, eventuell mit verbindenden Lufträumen, wirkungsvoll. Sollen die Ebenen räumlich sowie optisch klar getrennt werden, ist eine Position am Gebäuderand besser geeignet."

Mit der Raumwirkung, den Materialien und Konstruktionen beschäftigte sich auch der deutsche Autor Johannes Kottjé. In seinem Buch "77 Treppen für Wohnhäuser" stellt er unterschiedliche Beispiele aus Deutschland, der Schweiz und Österreich vor.

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Ihm zufolge können Treppen anhand verschiedener Merkmale charakterisiert werden, wobei die Anzahl der Treppenläufe am wichtigsten ist. Einläufige Treppen sind durchgängig und nicht unterbrochen oder gewendelt. Alle Stufen haben dieselbe Form und Auftrittsbreite. Mehrläufige Treppen sind durch einen Absatz, der dem Richtungswechsel dient, unterbrochen. Gegenläufige Podesttreppen vollziehen hingegen einen Richtungswechsel um 180 Grad auf halber Höhe.

Sicher zu begehen

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Gewendelte Konstruktionen sind nicht durchgängig geradläufig und nehmen Richtungsänderungen ohne Podest vor. Die Stufen verfügen über unterschiedliche Auftrittstiefen: Sie verjüngen sich zum Treppenauge hin und weiten sich zur Außenkante. "Wenn eine Gesamtwendung um 180 Grad stattfindet und alle Stufen und Podeste an einer gemeinsamen Mittelstütze zusammenlaufen spricht man von einer Spindeltreppe", erklärt Johannes Kottjé.

Des Weiteren kann nach Konstruktionsart unterschieden werden: Um eine Wangentreppe handelt es sich etwa, wenn die Stufen zwischen beidseitig verlaufende Tragelemente, zum Beispiel Brettbalken, eingespannt sind. Die Wangen können dabei freistehen oder an seitlichen Begrenzungswänden befestigt sein.

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Freitragende Treppen kommen ohne Wangen aus und sind lediglich oben und unten aufliegend oder eingespannt. "Derzeit erfreuen sich Kragstufen großer Beliebtheit. Hierzu werden die einzelnen Stufen in die seitliche Begrenzungswand einseitig eingespannt oder auf später nicht mehr sichtbare Kragarme einer in die Wand montierten Hilfskonstruktion aus Stahl aufgesetzt", beschreibt der Autor.

Welcher Typ am besten passt, hängt freilich von der Architektur des Hauses ab. Zudem gibt es von gesetzlicher Seite gewisse Vorgaben, "die Gestaltungsfreiheit wird dadurch aber nicht zwangsläufig eingeschränkt" sagt Sauter. Holzstiegen sind sowohl konstruktiv als auch stilistisch so gut wie immer möglich. Anfertigungen aus Beton werden häufig mit keramischen Fliesen bedeckt.

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Glas wirkt optisch zwar besonders leicht, aber auch etwas unbehaglich. Es wird deshalb eher für Brüstungen als für Stufen eingesetzt. "Bei der Materialwahl sollte man jedenfalls darauf achten, dass es alltagstauglich und auch für Kleinkinder und Menschen mit einer Behinderung sicher zu begehen ist", erklärt der Architekt.

Rein pragmatisch betrachtet dienen Treppen lediglich der Erschließung eines anderen Geschoßes, wie etwa Funde in prähistorischen Siedlungen belegen.
Emotional gesehen erfüllen sie zusätzlich auch eine wichtige architektonische Funktion. Prunkvolle Barockbauten zeugen davon ebenso wie moderne Einfamilienhäuser der Jetztzeit.

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77 Treppen fuer Wohnhaeuser von Johannes Kottje
Johannes Kottjé: „77 Treppen für Wohnhäuser. Material, Konstruktion, Raumwirkung“ mit Beispielen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz.

DVA Verlag, € 36,–

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