Die Geheimnisse eines ganz besonderen Grabes
Wer am Wachtberg hoch über Krems sitzt, hat einen fantastischen Blick über das Donautal, das Klima ist mild – ein bevorzugter Ort. Das wussten die Menschen lange vor unserer Zeit und siedeln seit 40.000 Jahren dort. Sogar während der Eiszeit. Irgendwann im Frühling vor 32.000 Jahren erlebten die Steinzeitmenschen aber einen Trauertag: Zwei Neugeborene waren gestorben.
Liebevoll legten sie die Babys in eine mit Rötel gefüllte Mulde, gaben ihnen eine Kette aus Schmuckperlen mit ins Grab und bedeckten die zarten Körper mit einem Mammutschulterblatt, um zu verhindern, dass hungrige Aasfresser das Grab schänden.
2005 stießen Forscher um Projektleiterin Christine Neugebauer-Maresch vom Institut für Orientalische und Europäische Archäologie der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) auf die Zwillinge von Krems, wie sie bald hießen – einen weltweit einzigartigen Fund: Nie zuvor war ein Kleinkinder-Grab aus dieser Zeit gefunden worden – von einer Doppelbestattung ganz zu schweigen.
Die Wissenschaftler bargen den Sensationsfund in einem Block mitsamt dem umgebenden Löss und lagerten ihn exakt temperiert in einer Klimakammer des Naturhistorischen Museums (NHM). Dort versuchte die Anthropologin Maria Teschler-Nicola, den Zwillingen von Krems möglichst viele ihrer Geheimnisse zu entlocken, ohne sie zu zerstören. "Die Daten, die uns die Untersuchungen mit dem Computertomografen geliefert haben, waren nicht überzeugend", sagt sie.
10 Jahre Geduld
Aber weil Anthropologen geduldige Menschen sind, haben die Forscher gewartet – zehn Jahre lang. Bis Neugebauer-Maresch und Teschler-Nicola sicher waren, dass die wissenschaftlichen Methoden so weit fortgeschritten waren, dass die fragilen Neugeborenen-Knochen gefahrlos untersucht werden können.
Jetzt ist es so weit: Sie beginnen, die Skelette freizulegen, um zu den Geheimnissen der Zwillinge vorzudringen. Das wird mindestens vier Wochen dauern. Geschlecht? Alter? Lassen sich pathologische Befunde erkennen oder sogar die Todesursache feststellen? Sind sie tatsächlich gleichzeitig bestattet worden? Und sind sie wirklich Zwillinge, umreißt Neugebauer-Maresch die Forschungsvorhaben. "Wir wollen auch den Bestattungsritus rekonstruieren." Dazu werden modernste digitale Methoden wie 3-D-Streifenlichtscanner eingesetzt.
Die Forscher vermuten, dass an der Fundstelle einmal die Behausung der Eiszeit-Menschen gestanden hat – vielleicht ein mit Mammutknochen verstärktes Zelt. Die Babys wurden direkt neben dem Lagerplatz begraben, an der Stelle, an der man gelebt, gekocht, geschlafen hat. Daraus schließen sie, dass bereits Neugeborene vollwertige Mitglieder der Gemeinschaft waren. Vielleicht auch deshalb, weil die Sippen zum Großteil aus Kindern bestanden haben müssen, um ihr Fortbestehen zu sichern.
Unsere steinzeitlichen Vorfahren waren Jäger und Sammler, Menschen, die ihre Wohnplätze mit den Herden gewechselt haben. Sie ernährten sich wie Raubtiere. Neben Mammuts standen Rentiere, Rothirsche, Steinböcke, Pferde, sogar Wölfe, Füchse und Vielfraß auf dem Speiseplan.
Der Fund ist auch deshalb so spannend, weil er aus einer Übergangszeit stammt: Neandertaler und Homo sapiens teilten sich den Lebensraum. Es war jene Epoche, in der die Menschen begannen, länger an einem Ort wie dem Wachtberg zu bleiben. "Saisonlager" nennt das Neugebauer-Maresch.
Die DNA-Analyse der Zwillinge ist jedenfalls bereits im Laufen. Im Herbst hofft die Anthropologin Teschler-Nicola auf die Ergebnisse. Vielleicht weiß sie dann nicht nur, ob die Babys eineiige oder zweieiige Zwillinge waren, sondern auch, ob ein bisschen Neandertaler in ihnen steckt.
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