Zwei Linsen beheben Grauen Star und Fehlsichtigkeit

Augenarzt Amon untersucht Tylers Augen mit dem Spaltlampen-Mikroskop: „Einfache Korrektur durch Tausch der Linse“, sagt der Professor.
Änderungen der Dioptrienzahl ist mit "Huckepack"-Linse leicht korrigierbar.

Tyler, 6, hält es nicht auf dem Sessel in der Ambulanz der Augenabteilung im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien. Er läuft auf und ab. "Er ist überhaupt nicht mehr unsicher, stößt nirgendwo mehr an – ich bin sehr zufrieden", sagt seine Mutter Alexandra Doleischi.

Tyler litt seit seiner Geburt am linken Auge am Grauen Star. Deshalb bekam er – als Ersatz für seine getrübte Linse – im Alter von zwei Jahren eine Kunstlinse implantiert.

"Doch weil das kindliche Auge noch stark wächst, ändert sich die Brechkraft, kommt es zu einer zunehmenden Kurzsichtigkeit", sagt Univ.-Prof. Michael Amon, Vorstand der Augenabteilung der Barmherzigen Brüder. Die eine Kunstlinse allein hätte deshalb nicht ausgereicht: Tyler hätte die Veränderung der Dioptrienzahl mit einer Brille oder Kontaktlinse ausgleichen müssen. "Da aber nur ein Auge von dieser starken Kurzsichtigkeit betroffen ist, wäre die Brillenlösung nicht so angenehm gewesen", sagt Amon.

Neues System

Zwei Linsen beheben Grauen Star und Fehlsichtigkeit
Die implantierte Kunstlinse nach einigen Jahren zu tauschen, ist keine Lösung: "Sie ist mit der Linsenkapsel fest verwachsen, eine Entfernung ist zwar möglich, aber ziemlich aufwendig und riskant."

Deshalb war Tyler vor drei Jahren das erste Kind weltweit, das mit einem völlig neuen, von Augenarzt Amon entwickelten System versorgt wurde: Eine "Huckepack-Linse", die vor die eigentliche Kunstlinse eingesetzt wird. Der Vorteil: Diese Linse kann leicht entfernt und gegen eine andere getauscht werden.

"Genau das haben wir vor kurzem bei Tyler gemacht – ebenfalls das erste Mal bei einem Kind", erzählt Amon: "Tyler benötigt heute vier Dioptrien weniger als vor drei Jahren. Diese Korrektur haben wir ganz einfach durch den Tausch der Huckepack-Linse vorgenommen."

Zunehmend wird diese Huckepack-Linse bei Erwachsenen eingesetzt – im Zuge oder nach einer Operation des Grauen Stars: "Üblicherweise erhalten die Patienten eine Monofokallinse, mit der sie in der Ferne scharf sehen. Für die Nähe benötigen sie eine Lesebrille. Diese Funktion kann aber auch eine zusätzliche Huckepack-Linse übernehmen. Mit ihr sehen sie in der Nähe scharf, mit der dahinterliegenden Linse in der Ferne."

Auch Patienten, deren Grauer-Star-Operation schon viele Jahre zurückliegt, die aber keine Lesebrille mehr wollen, können sich nachträglich eine solche Huckepack-Linse einsetzen lassen.

Korrigierbar

Zwei Linsen beheben Grauen Star und Fehlsichtigkeit

Eine Multifokallinse – also nur eine Linse für scharfes Sehen in der Ferne und in der Nähe – wird hingegen nicht von allen Patienten vertragen: "Manchmal kommt es zu Blendungen, die als störend empfunden werden. Auch das Kontrastsehen kann etwas beeinträchtigt sein, nicht alle kommen damit zurecht. Bei dem Zwei-Linsen-System sind solche Probleme seltener und einfacher korrigierbar, weil die vordere Linse leicht entfernt oder getauscht werden kann."

Bei starker Fehlsichtigkeit kann dieses System ("Sulco-flex") auch eine Alternative zu Laser-Operationen sein.

Noch handelt es sich bei der Huckepack-Linse um ein Nischenprodukt. Denn die Kassen zahlen sie nicht. "Aber auch eine private Aufzahlung dieser zweiten Linse im Rahmen einer von der Kasse bezahlten Star-Operation ist nicht erlaubt", sagt Amon. "Bei bestimmten Fällen übernimmt unser Krankenhaus die Zusatzkosten, aber das geht nur in ausgewählten Fällen, wo es eine medizinische Notwendigkeit gibt." Alle anderen daran interessierten Patienten müssen die Kosten selbst tragen.

Als Grauen Star oder Katarakt bezeichnet man die Eintrübung der Augenlinse. Die Betroffenen sehen wie durch einen leichten Schleier, der immer dichter wird. Oft nimmt auch die Blendungsempfindlichkeit zu. Die häufigste Ursache ist die Alterung der Linse, sie tritt meist erst jenseits des 60. Lebensjahres auf. Bei der Operation wird die trübe Linse durch eine klare Kunststofflinse ersetzt.

2012 wurden bereits 56,8 Prozent der Katarakt-OPs in der Tagesklinik (ohne Übernachtung im Spital) durchgeführt, politisches Ziel sind 90 Prozent. 2002 waren es lediglich 1,5 Prozent. Diese Entwicklung verkürzte die Wartezeiten deutlich: Bei den Barmherzigen Brüdern waren es vor Eröffnung der Tagesklinik zwölf Monate, jetzt sind es zwei. Die Zahl der Eingriffe wurde verdoppelt.

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