Unterversorgung bei Psychotherapie

Viele Betroffene können sich Psychotherapie nicht leisten.
Nur jeder Vierte mit schwerer psychischer Störung erhält eine Therapie auf Krankenschein.

In Österreich fehlt es an der Finanzierung der Psychotherapie sowie an Psychiatern mit Kassenvertrag – das erklärten am Donnerstag Vertreter der Psychotherapeuten bei einer Pressekonferenz anlässlich des heutigen Tages der psychischen Gesundheit. „Etwa ein Drittel der Bevölkerung leidet laut internationalen Studien an einer psychischen Erkrankung. Depressionen und Angststörungen allein haben in Österreich rund 1,7 Millionen Menschen“, sagte Univ.-Prof. Stephan Doering, Leiter der Klinik für Psychoanalyse und Psychotherapie der MedUni Wien.

250.000 Österreicher sind jährlich von einer schweren psychischen Störung betroffen, doch nur bei 35.000 Personen übernimmt die Krankenkasse die Kosten vollständig, etwa 30.000 weitere Patienten erhalten einen Kostenzuschuss von 21,80 Euro. „Die Mehrheit der psychisch Kranken kann sich Psychotherapie auf eigene Kosten nicht leisten, bei den bezahlten Therapieplätzen gibt es monatelange Wartelisten. Wir fordern ein Ende dieser Zwei-Klassen-Versorgung in der Psychotherapie“, sagte Maria-Anna Pleischl, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie (ÖBVP).

"Unerträglicher Zustand"

Vor allem bei Kindern sei monatelanges Warten ein „unterträglicher Zustand“, zudem bestehe die Gefahr, dass sich die Störung chronifiziere. Pleischl: „Die Folgen der Nichtbehandlung sind vermehrte Krankenstände, prekäre Arbeitsverhältnisse, Arbeitslosigkeit, ein früheres Pensionsantrittsalter und dadurch bedingt weniger Geld in der Pension. Betroffene kommen in eine Spirale der Armut.“

Für eine Therapiestunde werden 90 Euro veranschlagt, die Kassentarife liegen etwa zwischen 70 Euro in westlichen Bundesländern und 47 Euro in Wien. „Insgesamt werden im Gesundheitswesen im Jahr 50 bis 60 Millionen Euro für Psychotherapie ausgegeben, für Psychopharmaka ist es vier Mal so viel. Das ist zwar keine Entweder-oder-Frage, das Verhältnis ist aber unverhältnismäßig“, betonte Doering. Auch Psychiater mit Kassenvertrag gäbe es nicht ausreichend - laut Statistik des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger gibt es in Österreich knapp unter 100 Psychiater mit Kassenverträgen.

In vergleichbaren Ländern wie Deutschland und der Schweiz hinke Österreich weit nach: In Deutschland ist die Psychotherapie voll durch Krankenkassen finanziert, die Versorgungsrate liegt bei zwei Prozent. Zum Vergleich: In Österreich liegt sie bei 0,8 Prozent. Der ÖBVP strebt mindestens ebenfalls zwei Prozent an. Die Entwicklung gehe derzeit jedoch in eine andere Richtung, sagt auch Christine Diercks, Vorsitzende der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung: „Einzel- und längerfristige Behandlungen werden eingeschränkt. Die Tendenz geht zu kürzeren, günstigeren Therapien.“ Vor zwei Jahren wurden dem Ambulatorium der Psychoanalytischen Vereinigung 50 kostenlose Behandlungsplätze gestrichen. Die Behandlung psychischer Störungen werde dadurch weiter stigmatisiert.

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