„Was man aber über Leif Eriksson sagen kann: Er war der Sohn von Erik, dem Roten, hatte mehrere Geschwister, die alle mit Grönland und Vinland verbunden waren. Und er selbst hatte irgendwas mit der Entdeckung Amerikas zu tun.“ Ziemlich wahrscheinlich ließ er sich auf zwei bis drei Jahre dort nieder. „Das ist der harte wissenschaftliche Kern, auf mehr würde ich nicht wetten“, sagt Simek. Ja, es gäbe archäologische Befunde, aber nichts, wo Leif Eriksson drauf steht.
Also begeben wir uns ins Reich der Spekulation, der Sagas, und ergründen wir, wie es gewesen sein könnte: Wir schreiben ca. 1000 n. Chr., und Leif Eriksson hat eben eine dicke Knorr (ein Wikingerschiff) von Bjarni Herjólfson gekauft. Dabei hatte ihm Bjarni von seiner letzten Fahrt erzählt, bei der er vom Ostwind weit in den Atlantik getrieben worden war. Bjarni irrte im Nebel über das Meer. Tagelang – bis westlich von Grönland eine bewaldete Küste auftauchte. Er habe das Land nicht betreten.
Genau das hat Leif aber vor: Denn die Abenteuerlust liegt bei ihm in der Familie. Um 870 landete Leifs Großvater in Island, nachdem er aus Norwegen hatte fliehen müssen. Vermutlich hatte er einen Mord begangen. Rauflust und Jähzorn vererbte er an seinen Sohn Erik: Der erschlug im Streit mindestens zwei Männer und wurde aus Island verbannt. Sein Weg führte ihn nach Grönland. Es ist der Ort, an dem Leif Eriksson (der Sohn des Erik) aufwächst.
Als Leif um die 30 ist, bricht er wahrscheinlich im August 1001 Richtung Westen auf. Es ist eine gute Reisezeit: Die Sonne versinkt kaum hinter dem Horizont, selbst in der Nacht wird es nicht dunkel. Fürchten müssen die Seefahrer höchstens Nebel und Eisberge. Leif segelt erst an der Westküste Grönlands entlang nach Norden. Bald aber muss er sich aufs offene Meer hinauswagen. Hohe Wellen krachen gegen das Schiff. Eiskaltes Salzwasser schwappt über die Reling. Die Kleider sind ständig nass.
Den Kompass kannte man damals noch nicht. So viel ist bekannt: Wo die Sonne abends steht, ist Westen. Und Leif Eriksson weiß: Wind aus Nordost ist kalt und trocken, aus Südwest eher warm und feucht.
„Das ist das Schöne am Nordatlantik – er ist relativ klein“, sagt der Wikinger-Experte. „Die längste Strecke im Nordatlantik ist die zwischen Norwegen und Island.“ Simek hat errechnet, dass Leifs Reise wohl kaum mehr als acht Tage gedauert hat. „Es was also keine monatelange Aktion wie bei Kolumbus.“
Nach Tagen auf hoher See stoßen die Entdecker also auf Land. Es ist felsig und vereist, kein Ort zum Leben. Leif und seine Männer fahren weiter nach Süden. Vorbei an der heutigen kanadischen Provinz Labrador, taufen sie „Markland“ – Waldland. Endlich erblicken sie saftige Wiesen. Leif nennt die Gegend „Vinland“, also Weideland.
Die Weltenbummler richten sich häuslich ein, bauen 15 Meter lange, fensterlose Hütten, bedecken sie mit dicken Grasstücken – als Schutz gegen die Kälte. Sie bleiben. Wie lange? Keiner weiß es mit Sicherheit. Irgendwann stechen sie wieder in See – zurück nach Grönland.
Leif wird den Weg in die Neue Welt nicht noch einmal antreten. 1020 stirbt er. Ungefähr. Simek: „Geburts- und Todesdaten haben wir für die Leute aus dieser Zeit eigentlich gar nicht.“ Trotzdem wird 2020 der 1000. Todestag des ersten Entdeckers Amerikas begangen.
Lesen Sie Montag: So tickten die Wikinger
Buchtipp: R. Simek. „Vinland! Wie die Wikinger Amerika entdeckten“. C.H. Beck.16,95 €
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