Wie Beethovens Schädelfragmente nach Wien zurückkehrten

Wie Beethovens Schädelfragmente nach Wien zurückkehrten
Gerichtsmediziner Christian Reiter hofft mit den Relikten das Rätsel der Ertaubung und die Todesursache des Komponisten lösen zu können.

Eine unscheinbare, kleine Metallbox, darin zwei etwa handtellergroße Knochenstücke und zehn erbsengroße Brösel. Nur die gravierte Aufschrift „Beethoven“ auf dem Deckel gab einen  Hinweis. Dennoch, Paul Kaufmann dachte sich  nicht viel, als er die Schachtel nach dem Tod seiner Mutter 1990 in einem Safe in Frankreich fand. In seine Heimat USA nahm er sie aber trotzdem mit.

Heute sind die Knochen als „Seligmann-Fragmente“ bekannt, benannt nach dem Wiener Arzt, Anthropologen und Medizinhistoriker Franz Romeo Seligmann (1808 - 1892). Sie werden dem Komponisten Ludwig van Beethoven zugesprochen – und kehrten nun nach vielen Jahrzehnten und Stationen in Frankreich und den USA nach Wien zurück. „An den Ort, wo sie hingehören, und wo alles begann“, wie Kaufmann die Übergabe an die Medizinische Universität Wien begründet. 

Historischer Boden

Die historische Dimension ist nur ein Teil ihrer  Bedeutung. „Es geht nicht darum, eine Reliquie auszustellen. Wir haben damit ganz kostbares Material erhalten, anhand dessen wir forschen können“, sagt Gerichtsmediziner Christian Reiter. Molekularbiologische Methoden könnten helfen, die Todesursache und den Grund der Ertaubung des Genies zu klären.   „Die Knochen sind dafür bis heute eine Kostbarkeit.“ Reiter beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem „ganz kostbaren Material“, hat im Vorjahr einen wissenschaftlichen Artikel im Fachjournal Wiener Medizinische Wochenschrift publiziert. „Es spricht nichts dagegen, dass die Knochen echt sind.“

Im KURIER-Gespräch fasste er seine Erkenntnisse zusammen:  Einerseits sei die Vorgeschichte der Vererbung richtungsweisend, andererseits  passen Form und Sägenfurchen genau zum  einzigen vorhandenen Gipsabdruck von Beethovens Schädel. Der übrigens im Narrenturm in Wien aufbewahrt wird. Ein weiteres Argument des Experten: Die Fragmente weisen eine ähnlich hohe Bleikonzentration auf wie untersuchte Haarlocken von Beethoven. Diese waren in den 2000er-Jahren molekularbiologisch analysiert worden. Die Ergebnisse der Schädelknochenuntersuchung sei allerdings nie publiziert worden.

Bleihältige Medikamente

Die Bleikonzentration kam vermutlich durch bleihältige Medikamente zustande. "Jedes Jahrhundert hat seine Medikamente", erklärt Reiter. Zu Beethovens Zeit seien etwa Bleisalze zur Schleimlösung eingesetzt worden, ebenso zur Versiegelung von Stichen. Die von seinen Ärzten dokumentierte Krankengeschichte zeigt, dass der Komponist in seinen letzten Lebensmonaten an einer Lungenentzündung litt und (vermutlich als Folge der Bleibehandlung) an Wasseransammlungen im Bauch. Diese dürften chirurgisch durch gezielte Stiche in den Bauch aufgelöst  - und mit Bleipflastern verschlossen worden sein.

Entnommen bei Exhumierung

Bei der ersten Exhumierung Beethovens 1863 war auch Seligmann dabei. Damals wurde der Schädel genau dokumentiert. Vermutlich kamen die Fragmente anlässlich dieser Exhumierung in Seligmanns Besitz. Schädelknochen zu sammeln war laut Reiter im 19. Jahrhundert keine Seltenheit. "Ärzte haben sie zu Forschungszwecken gesammelt."

Echtheit angezweifelt

Die Echtheit der „Seligmann-Fragmente“ war unter anderem aus diesen Gründen auch angezweifelt worden. In den USA hinterfragen einige Wissenschafter die Herkunft. Bis Jahresende soll die Provenienz  „mit hundertprozentiger Sicherheit“ (Reiter) geklärt sein. Erst dieser Tage wurden DNA-Proben entnommen, die am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig, laut Reiter das weltweit am besten ausgestattete, untersucht und mit den Beethoven-Haarlocken abgeglichen.

Danach  werden sie in die medizinhistorischen Sammlungen des zur MedUni gehörenden Josephinums in der Wiener Währingerstraße aufgenommen – übrigens verstarb Beethoven 1827 nur wenige Meter entfernt in der Schwarzspanierstraße.

Dort wurde er, sagte MedUni-Rektor Markus Müller, zwei Tage später auch obduziert. Als neuer Besitzer der „Seligmann-Fragmente“ bemühe man sich, „die richtige Balance zwischen nachvollziehbarem öffentlichen Interesse und Respekt vor einem Verstorbenen zu finden“.

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Uni-Rektor Markus Müller mit dem Erben Paul Kaufmann und Gerichtsmediziner Christian Reiter.

Jahrzehnte in Familienbesitz

Die Knochenstücke - die beiden größeren stammen von der Hinterhauptregion bzw. von der rechten Stirnregion - blieben über Jahrzehnte lang im Besitz der Familie, die später vor dem Naziterror aus Wien flüchten musste. Zuletzt verwahrte sie Paul Kaufmann, der in den USA lebt und die Knochenreste 1990 aus dem Nachlass seiner Mutter in Frankreich, eine Großnichte Seligmanns, übernommen hatte. Sie hätten sich in einem Bankschließfach befunden - gebettet in eine Metallbox mit der Gravur "Beethoven".

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Paul Kaufmann übergab die Fragmente der Medizinischen Universität Wien.

Rektor Müller nennt noch mehr Verbindungen, warum das Josephinum  der „richtige Ort“ für die Übernahme der Schädelteile sei. Beethovens Arzt Johann Adam Schmidt war selbst Arzt am Josephinum, das als medizinisch-chirurgische Akademie 1784 gegründet worden war. Und: Der Sohn des Wiener  Arztes Franz Romeo Seligmann wohnte in der nahen Garnisongasse. Sein Vater, nach dem Schädelteile benannt wurden, hatte  die Knochen bei der ersten Exhumierung Beethovens 1863 zu Forschungszwecken  an sich genommen. Mit der Übergabe ans Josephinum und der weiteren Beforschung schließt sich für Rektor Müller ein Kreis. „Beethoven selbst hat zu Lebzeiten gewünscht, dass seine Erkrankung nach seinem Tod untersucht und erforscht wird.

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Das Josephinum im 9. Wiener Bezirk sammelt zur Medizingeschichte.

Weitere Untersuchungen

Besucherinnen und Besuchern bleibt ein Blick auf die Komponisten-Relikte vorerst indes verwehrt. Denn in den nächsten Monaten sollen Studien mit den Objekten vorgenommen werden. Denn einige Wissenschafter in den USA zweifeln an, dass die Schädelüberreste tatsächlich von Beethoven stammen. Gerichtsmediziner Christian Reiter von der MedUni Wien kann den Einwänden wiederum wenig abgewinnen. Er hat im Vorjahr eine wissenschaftliche Arbeit zu diesem "ganz kostbaren Material" veröffentlicht. "Es spricht nichts dagegen, dass die Knochen echt sind", wiederholte er heute sein Fazit noch einmal.

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Indizien für Echtheit

Er führt gleich zwei stichhaltige Indizien ins Treffen. Einerseits passen die erhaltenen Fragmente bezüglich Form und Sägenfurchen genau zu jenem Gipsabdruck des Schädels, der ebenfalls 1863 angefertigt wurde und sich im Narrenturm des Naturhistorischen Museums Wien befinde, erklärte der Experte. Andererseits sei Anfang der 2000er-Jahre bei molekularbiologischen Untersuchungen in Haarlocken eine erhöhte Bleikonzentration festgestellt worden. Diese finde sich auch in den Knochen, wobei die Krux dabei sei, dass die Ergebnisse der Schädelstücke nie publiziert worden seien, führte Reiter aus. Bei Bedarf werde man die Messung in Wien allerdings wiederholen.

Neues Wissen aus DNA-Proben

Vielleicht schafft aber bis dahin eine andere Studie endgültige Klarheit. Denn erst vor wenigen Tagen wurden am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie den "Seligmann-Fragmenten" DNA-Proben entnommen, wie Kaufmann berichtete. Sie sollen mit dem DNA-Material aus Beethoven-Haarlocken abgeglichen werden. "Ende des Jahres werden wir dann zu 100 Prozent Bescheid wissen", meinte Reiter. Dann könnte auch das Rätsel gelöst werden, warum Beethoven taub geworden und woran er letztendlich gestorben ist.

 

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