Der Badeurlaub muss wegen der Nesseltiere heuer trotzdem nicht ins Wasser fallen. Zwar sind alle Arten im schwimmenden Entwicklungsstadium giftig, doch nur die wenigsten können dem Menschen gefährlich werden. Langfristig schaut es für Tourismus und Fischerei aber nicht gut aus. Experten sprechen – in Anlehnung an das englische Wort jellyfish für Qualle – bereits jetzt von einer Jellification der Ozeane.
Seit 650 Millionen Jahren hirn- und herzlos
„Quallen sind eine uralte Tierform und immer noch Player“, sagt Daniel Abed-Navandi, Kurator für Meeresaquarien im Haus des Meeres. Ob schillernd, nahezu durchsichtig oder biolumineszierend – Quallen lassen sich seit rund 650 Millionen Jahren hirn- und herzlos auf dem blauen Planeten treiben. Starke Strömungen, vor allem aber Sand oder Felsen beenden das ohnehin kurze Dasein der „Medusen“.
Ihre Eltern dagegen brauchen genau diesen harten Untergrund, um sich durch Teilung fortzupflanzen. Wie kleine Bäume sitzen die „Polypen“ fest auf steinigem Meeresgrund oder in Höhlen – und zunehmend in von Menschen gemachten Kinderstuben.
„Polypen finden eine immer bessere Basis für eine Massenvermehrung“, sagt Evolutionsbiologe Abed-Navandi und zählt Kaimauern, Windräder, verdichteten Müll z. B. aus Autoreifen und Glas sowie Schiffsrümpfe auf. Außerdem spielt die Erwärmung des Wassers eine wichtige Rolle für die Verquallung der Meere.
„Der Temperaturanstieg von einem Grad reicht, dass sich das Lebensrad im Meer schneller dreht“, erklärt der Experte. Die kürzere Winterruhe führt dazu, dass die wechselwarmen Tiere früher und damit länger aktiv sind.
„Quallen können wegen ihrer einfachen Bauweise auch in sauerstoffarmen Zonen zur Blüte kommen“, sagt Axel Hein, Meeresbiologe beim WWF. Selbst dort, wo die Verschmutzung durch Dünger Fische vertreibt, gedeihen die gallertartigen Organismen prächtig. Das geringe Aufkommen von Fischen begünstigt prinzipiell die Vermehrung der Medusen. „Durch die Überfischung gibt es weniger Fressfeinde, die die Quallen in Schach halten“, sagt Umweltschützer Hein.
Nicht zuletzt gerät das Ökosystem unter Wasser aus dem Gleichgewicht, weil die räuberischen Quallen in der Nahrungskette Zooplankton, Fischlarven und Krebse reduzieren. So hat sich die Biomasse der Quallen in den vergangenen zwanzig Jahren stellenweise verhundertfacht, während die der anderen Meeresbewohner gleichermaßen abgenommen hat.
„Der Mensch tut – ohne es zu wollen – auch sehr viel für die Polypen. Die Generation der Nesseltiere wird durch die Schifffahrt zu Bioinvasoren“, sagt Abed-Navandi. Als blinde Passagiere durchqueren sie die Ozeane und erobern neue Lebensräume. Ohne Mitfahrgelegenheit hätten es die Vielfüßer schwer, etwa in das abgeschottete Mittelmeer zu gelangen. Mittlerweile bringen hier tropische Arten heimische Spezies in Bedrängnis.
Wirtschaftlicher Schaden
„Die Jellification fällt vor allem den Fischern auf“, weiß Abed-Navandi. Verstopfen die Quallen ihre riesigen Schleppnetze, reißen die Taue. Auch für Kraftwerke, die Kühlwasser ansaugen, können die Tiere, die bis zu 99 Prozent aus Wasser bestehen, zum Problem werden. Hein schließt: „Treiben Wind und Strömung die Tiere Richtung Strand, hat das Massenauftreten auch wirtschaftliche Folgen für den Fremdenverkehr: Keiner will mehr ins Wasser.“
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