Sie haben Regierungen beraten, und Ihre Strategie wurde zum globalen Wegweiser. Haben Sie mit dieser Resonanz gerechnet?
Nicht im Geringsten. Ich habe zwar gehofft, dass die Menschen mir zuhören werden, aber ein derartiges Echo kann man nicht erwarten.
Wieso haben Sie angefangen, sich mit Corona zu beschäftigen?
Das ist einfach so passiert. Ich mag es, Postings zu schreiben. Und als Corona Anfang 2020 überall auf der Welt auftauchte, fand ich es wichtig, darüber zu schreiben. Die Rückmeldungen auf Social Media waren enorm, also habe ich weitergemacht. Irgendwann wollte ein Freund von mir die gesammelten Informationen weiterleiten, also habe ich alles in meinem ersten Artikel „Why you must act now“ zusammengefasst. In dieser Zeit habe ich sehr wenig geschlafen. Aber ich dachte mir, ich werde nie wieder die Möglichkeit haben, den Menschen auf diese Weise zu helfen.
Sie haben unzählige Daten zu Corona gesammelt und treffsichere Prognosen erstellt. Werden wir die Pandemie je überwinden können?
Darüber kann ich nur spekulieren. Ich glaube, dass das Virus mit der Zeit endemisch wird, also nur mehr örtlich begrenzt auftreten wird. Denn es ist sehr schwer, es auf der ganzen Welt auszulöschen. Als Folge wird das Virus immer wieder mutieren. Das heißt aber nicht, dass es immer aggressiver wird. Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass es sich wie die Grippe verhalten wird. Die Menschen werden eine Immunität entwickeln, ob auf natürliche Weise oder durch eine Impfung. Ein anderes Szenario ist, dass das Virus seine Aggressivität beibehalten wird und wir uns immer wieder gegen neue Varianten impfen lassen müssen. Aber ich hoffe sehr, dass das nicht passieren wird.
Wie verändert die Pandemie unsere Gesellschaft?
In vielerlei Hinsicht. Es ist offensichtlich, dass wir uns dieser Art von Viren bewusster geworden sind. Nicht ganz so offensichtlich sind die Folgen des Homeoffice. Viele Menschen haben sich daran gewöhnt, von zu Hause aus zu arbeiten. Und je mehr Menschen das machen, desto besser werden die Technologien. Das hat zur Folge, dass die Menschen arbeiten können, von wo aus immer sie wollen. Und sie können sich Jobs in Ländern aussuchen, wo der Steuersatz geringer ist. Es wird also zu einem Steuerwettbewerb kommen. Auf der anderen Seite müssen Unternehmen nicht zwingend Menschen anstellen, die auch vor Ort sind. Sie können ihre Mitarbeiter in der Ukraine oder Indien haben. Und wenn es sie nur die Hälfte kostet, werden sie das auch tun.
Das Homeoffice führt also zu Offshoring?
Ja. Bis jetzt wurden hauptsächlich Produktionsstätten ausgelagert. In Zukunft aber wird das auch mit Angestellten in Büro-, Handels- und Dienstleistungsbetrieben passieren. Europa wird dadurch weniger Möglichkeiten haben, diese Generation an Arbeitskräften zu besteuern.
Was ist die dringlichste Aufgabe zu diesem Zeitpunkt der Pandemie?
Impfen, impfen, impfen. Wir müssen die Produktion erhöhen und den Impfstoff in jedem Teil der Welt herstellen, nicht nur in Industrieländern. Es hilft uns nichts, wenn wir in Europa den dritten und vierten Booster bekommen, die Menschen in Afrika aber noch gar nicht geimpft sind. Weil so das Virus immer weiter mutieren kann. Zeitgleich müssen wir die Zulassungen von Impfungen beschleunigen, wenn sie für Mutationen adaptiert werden. Wir können die Risiken nicht im selben Maße berücksichtigen wie vor der Pandemie und müssen Entscheidungen auch mit weniger verfügbaren Daten treffen.
Die Impfkampagne geriet früher als gedacht ins Stocken. Was haben wir falsch gemacht?
Ich denke, die Botschaft wurde nicht richtig vermittelt. Die Bereitschaft unter Älteren ist höher, weil auch die Sterblichkeitsrate in dieser Gruppe höher ist. Viele Jüngere hingegen denken sich, warum sollte ich mich impfen lassen, wenn das Virus für mich nicht so gefährlich ist. Ihnen muss klar kommuniziert werden, dass immer noch das Risiko von Long Covid besteht. Und dieses liegt immerhin bei zehn Prozent. Es kann etwa den IQ vermindern, diese Probleme können erst zehn bis 20 Jahre später auftreten. Das ist ernstzunehmen. Außerdem braucht es die Botschaft von politischer Seite: Man schützt nicht nur sich selbst mit der Impfung. Es ist wie beim Führerschein. Du musst ihn nicht haben. Aber wenn du fahren willst, brauchst du ihn. Dasselbe gilt für die Impfung. Du musst nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben, aber wenn du es tust, brauchst du sie.
Also bräuchte es eine generelle Impfpflicht?
Nein, der Staat hat abseits davon genügend Hebel. So kann er sagen: Alle, die im öffentlichen Dienst arbeiten, müssen geimpft sein. Und ebenso alle, die am öffentlichen Leben teilhaben wollen. Man kann nicht andere aufgrund persönlicher Befindlichkeiten in Gefahr bringen.
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