„Auf Viking fahren“, so nannten sie diese Raubzüge, überfielen 841 Rouen in Frankreich, vier Jahre später Hamburg, dann Dublin und London. „Sie waren überall, nur nicht in Österreich“, sagt Simek. „Xanten, Köln, Bonn, Koblenz, die Eifel waren intensiv betroffen. Das ganze Pariser Umland, Bretagne, Normandie – dort ließen sie sich endgültig nieder. Auch die Gründung Russlands geht auf schwedische Wikinger, die Vagrega, zurück.“ Archäologe Wolfgang Neubauer vom Ludwig Boltzmann Institut für Virtuelle Archäologie in Wien ergänzt: „Dass eine Führungsschicht definitiv nordmännisch war, haben Gen-Analysen ergeben. Auch zwischen Konstantinopel und dem skandinavischen Raum gab es starke ethnische Vermischung. Die Varega waren die Schweizer Garde von Konstantinopel – die großen Krieger, die den Kaiser beschützten.“
Krieger, Seeleute, Händler
Neubauer weiter: „Eigentlich gab es die Wikinger gar nicht. Nie haben sie sich selbst so bezeichnet. In den historischen Quellen gibt es entweder die Dänen oder Nordmänner und die Normannen.“ Was sie aber von den Fjorden der Nordsee bis zu den Schären der Ostsee einte, war eine gemeinsame Sprache und ähnliche religiöse Vorstellungen. Sie waren mutige Krieger, hervorragende Schiffskonstrukteure, geniale Seeleute und kluge Händler.
Über ihre soziale Ordnung weiß die Forschung heute einiges, aber bei Weitem nicht alles: Im 7., 8. und 9. Jahrhundert organisierten sie sich in Clans. „Es gab Häuptlinge, die in Skandinavien als Könige bezeichnet wurden. Die Stellung beruhte hauptsächlich auf Ruhm, Ehre und Erbe“, sagt Neubauer, der seit einigen Jahren intensiv in Norwegen und Dänemark forscht. „Ruhm und Ehre wollten vermehrt werden – daher die Raubfahrten.“
Finn Ole Nielsen, der Chefarchäologe auf der dänischen Insel Bornholm, ergänzt: „Unsere Münzen belegen diesen Kontakt bis in die arabische Welt – das Silber der Münzen kam von dort, haben Analysen ergeben.“ Zwischen Schweden und Polen gelegen, haben die Forscher auf der Insel viele Fundstellen entdeckt. Nielsen: „Der Ort war eine Schnittstelle zwischen Nord und Süd, aber auch zwischen West und Ost. Es gibt viele Spuren von Reichtum, wie eben diese Münzen“.
Er glaubt jedenfalls, den Sitz eines dieser lokalen Könige ausgemacht zu haben. Jetzt versucht er, mit Neubauers Hilfe mehr herauszufinden – die Archäologen schauen in die Erde. 30 Hektar wurden bereits mit Bodenradar untersucht. „Eine riesige Fläche. Wir nennen es den Tempelbezirk“, erzählt Nielsen, der unlängst in Wien war, um die erhobenen Daten zu sichten.
Neubauer erklärt unterdessen die Funktion der Tempel: „Die anderen Fürsten brachten Geschenke – heute würde man Steuern sagen – und bekamen dafür Schutz von den Stärkeren. Im Tempel dürften die Güter wie in einem Schrein gelagert worden sein“, sagt er. „Wenn die Leute kommen und Abgaben zahlen, ist es gut, ein Fest zu machen, denn dann kommen sie nächstes Mal wieder und bringen die Steuern wieder mit.“ Überhaupt sei Feiern und Bier in rauen Mengen trinken wesentliches Element regionaler Politik gewesen.
Ein Rätsel in der Wikingerforschung könnte übrigens bald mit Hilfe der österreichischen Forscher gelöst werden. Die Frage, wann genau die Seefahrer ihre eingangs erwähnten Segel erfanden, die ihnen den Aufstieg erst ermöglichten. „Darum ist das Schiff, das wir 2018 mittels Bodenradar im norwegischen Jellestad gefunden haben, so wichtig“, sagt Neubauer.
Zwar seien keine Segel zu sehen, aber „wir glauben in den Daten die Anomalie zu erkennen, die auf einen Mast hindeutet.“ Bald wird man es genau wissen: Die Denkmalbehörde hat beschlossen, das Schiff auszugraben.
Wie alt das Holz des Schiffes ist, weiß Neubauer schon: „In der Analyse wurde es auf die Jahre 603 bis 724 datiert.“ Und das liegt vor dem offiziellen Beginn der Wikingerzeit.
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