Welches Bild offenbarte sich in Ihren Recherchen, wovon träumten diese Frauen?
Manchen waren ehrgeizig, für andere war es ein Beruf, um auf eigenen Beinen zu stehen. Viele Berufsalternativen für Frauen gab es ja nicht und eine Arbeit im Büro hatte ein positives Image. Für fast alle war es eine Übergangsphase bis zur Heirat. Der Wunsch, zu heiraten, nimmt in den Tagebüchern einen großen Stellenwert ein.
Aber es waren einst Männer, die diesen so wichtigen Posten innehatten, Sekretär steht für „Geheimnisträger“. Weshalb übernahmen die Frauen?
Dass aus dem Männerberuf Sekretär der Frauenberuf Sekretärin wurde, hat zwei Gründe. Zum einen haben sich die Handelsbeziehungen und die Bürokratie in den Behörden ausgeweitet. Man brauchte mehr Schreibkräfte. Zum anderen kam Ende des 19. Jahrhunderts die Schreibmaschine auf. Das waren damals wirkliche Maschinen! Sie waren laut und rochen nach Öl und Farbe. Die Sekretäre waren Schreiber, die in schönster Schrift geistige Arbeit erledigten. Sie wollten sich nicht zu Maschinenarbeitern „degradieren“ lassen. Also hat man Frauen herangezogen und die Männer sind auf besser bezahlte und prestigeträchtigere Positionen ausgewichen.
Mit dem Beruf waren Klischees verbunden, vom „Fräulein, das den Kaffee serviert“ zur „Büro-Ehefrau“ und zum „Vorzimmerdrachen“. Wie entstanden diese Klischees?
Den Klischees liegt immer ein Körnchen Wahrheit zugrunde. In den 50er-Jahren waren noch wenig Frauen in Männerberufen und die Geschäftswelt galt als männlich. Ein Lehrbuch für Sekretärinnen betonte, dass Frauen ihre eigene weibliche Note in die nüchterne Geschäftswelt bringen können, indem sie den Chef mit Kaffee verwöhnen und die Kunden bedienen. Die Sekretärin war rund um die Uhr für den Chef da und hat Aufgaben für ihn erledigt, die nichts mit Büroarbeit zu tun hat. Sie hat ihn an Geburtstage erinnert, Geschenke für die Ehefrau gekauft, den Anzug von der Reinigung geholt. Eine Chefsekretärin hatte und hat durchaus Macht. An ihr kam keiner vorbei.
Wie hat sich das Berufsbild im Laufe der Zeit, bis in die 1970er-Jahre hinein transformiert?
Es wurde eine große Anpassungsfähigkeit und Kompetenz erwartet. Indem Frauen ihre Kompetenzen erweitert haben, haben sie aber auch befreit. In der Zeitschrift „Gabriele – die perfekte Sekretärin“ wurden Karrieretipps gegeben und Frauen ermutigt, sich weiterzubilden. Da zeigt sich, dass Sekretärinnen ein großes Selbstbewusstsein entwickelt haben. Die sexuelle Revolution Ende der späten 1960er-Jahre hat sich nur dahingehend ausgewirkt, dass die Männer es als Freiheit verstanden haben, ihre Sekretärin zu belästigen.
Der Beruf galt als Wegbereiter in die Eigenständigkeit, welche Bedeutung hatte er für die Emanzipation der Frau?
Für viele Frauen war er ein sozialer Aufstieg. Sehr viele Arbeitertöchter hätten nach der Ausbildung nur in der Fabrik arbeiten können oder als Dienstmädchen. Auch Handwerkstöchter hatten kaum andere Arbeitsmöglichkeiten. Der Beruf brachte sie in die Geschäftswelt. Oft ergab sich dadurch eine Heirat mit einem Mann aus einem höheren sozialen Milieu. Auch das war für Frauen ein sozialer Aufstieg. Sie hatten in der privaten Welt und in der Berufswelt eine dienende Rolle, auch als Sekretärin. Dennoch lag darin eine große Chance. Sekretärinnen waren nicht nur Dienende, sondern oft anerkannte Mitarbeiterinnen.
Ein Klischee bedient die Vorstellung der Chef-Sekretärinnen-Affäre. Wahr oder falsch?
Die Tagebücher zeigen, dass das nicht nur ein Klischee ist. Ich zitiere in meinem Buch aus einigen Tagebüchern, in denen Sekretärinnen über ein Liebesverhältnis mit ihrem Chef schreiben, und wie sehr sie darunter litten. Mit diesem Mann waren sie ständig zusammen, man wurde vertraut, war bedeutsam. Es entwickelt sich eine Beziehung. Allerdings war das sehr konflikthaft, weil der Chef meist verheiratet war. Weiters erzählen viele auch, in welchem Konflikt die Männer standen, die zwischen der Ehefrau und der Sekretärin hin und her gerissen waren. Von dem Leiden der betrogenen Ehefrau war allerdings keine Rede.
Waren Sekretärinnen manchmal sexuelles Freiwild?
Tatsächlich berichten sehr viele von sexuellen Übergriffen durch Vorgesetzte. Noch in den 80er-Jahren wurde eine Befragung gemacht, in der jede vierte Sekretärin von sexuellen Belästigungen berichtet. Für viele Frauen war es schwierig, eine klare Absage zu erteilen, weil sie riskierte, dass der Chef ihr die Abfuhr übelnahm und sie entweder ihren Job verlor oder er sich auf eine andere Weise an ihr rächte.
Wie sehr hat sich das Berufsbild gewandelt, wer ist die „Sekretärin“ des 21. Jahrhunderts?
Glücklicherweise gibt es heute Berufsbezeichnungen, die präziser beschreiben, was diese Frauen machen. Das Aufgabenfeld ist sehr viel größer geworden, sie managen Geschäftsabläufe, haben ein enormes Wissen und kennen sich mit moderner Textverarbeitung genauso gut aus wie mit sozialen Medien. Im Rahmen der Globalisierung muss sie international agieren können. Zukünftig werden die schnell wandelnden IT-Entwicklungen und der Umgang mit KI eine Herausforderung sein, die eine Office-Managerin bewältigen muss. Viele haben einen so großen Einblick, dass sie ihren Chef vertreten könnten.
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