SARS-CoV-2 im Porträt: Ein Virus als unsichtbarer Serientäter
Es hat die Welt fest im Würgegriff, dabei ist es erst ein knappes halbes Jahr alt. Binnen weniger Monate brachte der Übeltäter mit dem sperrigen Namen SARS-CoV-2 die Weltwirtschaft ins Wanken, trennte Liebende, beendete Jahrhunderte alte Begrüßungsrituale und tötete mehr als 400.000 Menschen. Er durchdrang unsere Sprache (wer wusste vorher, was "Social Distancing" oder eine "Reproduktionszahl" ist?), brachte Ärztinnen, Pfleger und Supermarktangestellte an ihre Grenzen und schob der Frauenbewegung einen Riegel vor.
Wie konnte der Täter, 10.000-mal kleiner als ein Millimeter und doch einer der größten seiner Art, so erfolgreich werden? Und wieso treibt er trotz intensivster Bemühungen internationaler Forscher noch immer sein Unwesen?
Das Morden liegt jedenfalls in seiner Familie, der ganze Clan ist berüchtigt: Hunderte Coronaviren – den glamourös anmutenden Namen verdanken sie ihrer kronenförmigen Proteinstruktur – gibt es, sieben können beim Menschen Erkrankungen auslösen. Wie alle Viren sind sie alleine völlig machtlos, können nicht fressen, nicht atmen, nicht leben.
Genau diese Eigenschaft macht sie zu Verbrechern – zu einem "Monster" oder "verborgenen Feind", wie es der US-Präsident gewohnt kindgerecht formulierte: Sie suchen sich einen Wirt, kapern seine Zellen und verwandeln diese in winzig kleine Virus-Kopiermaschinen, bis sie die Kontrolle über den fremden Organismus haben. Coronaviren verfügen über ein weiteres "Asset", einen Korrekturmechanismus, der verhindert, dass zu viele Mutationen den Erreger schwächen. Spätestens jetzt ist jedem klar, warum stark geklickte Meldungen in den sozialen Medien "viral" gehen oder Computer von "Viren" befallen werden. Eine Metapher wurde Wirklichkeit, und das nicht zum ersten Mal.
Perfide Vorgangsweise
Bereits 2002 versetzte ein Coronavirus die Welt in Schrecken: SARS-CoV infizierte 8.000 Menschen mit dem Schweren Akuten Atemwegssyndrom (SARS) und forderte 800 Todesopfer, was aus heutiger Sicht fast schon mickrig erscheint.
Das jetzige, neuartige Coronavirus, das am 11. Februar 2020 von der Coronavirus Study Group (CSG) des International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) auf den Namen SARS-CoV-2 getauft wurde, agiert um einiges gewiefter und perfider. Bei SARS oder MERS (das 2012 im Nahen Osten auftrat) erfolgte die Übertragung auf andere Personen nur dann, wenn der Infizierte bereits sichtlich krank war – somit konnten potenzielle "Superspreader" (noch so ein neues Vokabel ...) in der Regel rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen werden.
Covid-19-Infizierte hingegen sind am ansteckendsten, bevor sie überhaupt Symptome entwickeln. Aus Sicht des Virus eine geniale Taktik: Nichtsahnend übertragen seine Opfer die Viren beim Sprechen, Husten oder Spucken auf ihre Mitmenschen. Manche trifft der Erreger mit voller Härte, Atemnot, Lungenembolie, Thrombosen. Andere Infizierte kommen mit Fieber und Husten davon – oder bleiben die ganze Zeit über völlig asymptomatisch. Dazu kommt seine ausgeprägte Hartnäckigkeit: Die Spikes von SARS-CoV-2 scheinen sich besonders fest an die Rezeptoren der Wirtszelle zu heften. "Das Virus verhält sich wie kein Erreger, den die Menschheit zuvor gesehen hat", bemerkte das Fachjournal Science kürzlich mit einer Mischung aus Faszination und Ratlosigkeit.
Mit diesem Raffinessen-Repertoire eroberte SARS-CoV-2 ein Land nach dem anderen – und schließlich alle Kontinente. Am meisten wütete es in der Metropole New York City, wo – bei ca. gleicher Einwohnerzahl – 30-mal so viele Menschen starben wie in Österreich. In Tirol wurde eine Après-Ski-Bar als Tatort und Virus-Drehscheibe weltberühmt.
Grenzenlos, skrupellos
Das ist, wenn man so will, die sympathische Seite des Täters: Er schert sich nicht um nationale Grenzen, um Hautfarben, Bankkonten oder Bekanntheitsgrade. Ohne Skrupel attackierte er Staatschefs, Thronfolger und Oscar-Preisträger.
Alles begann höchstwahrscheinlich in einer Fledermaus (und nicht in einem chinesischen Labor, wie zwischendurch behauptet). Über einen noch unbekannten Zwischenwirt ging es gegen Ende des vergangenen Jahres auf den Menschen über: Wochenlang zirkulierte in Wuhan, China, ein mysteriöses Lungenleiden, ehe Mediziner den Erreger Anfang Jänner als neues Coronavirus identifizierten. Die Jagd auf den Täter – vulgo nach einem Impfstoff – war eröffnet. Das Virus hatte seinen globalen Seuchenzug begonnen und verbreitete sich rasant, nicht nur in unseren Zellen, sondern auch in unseren Köpfen.
Schwachstellen nützen
Wir lernten, uns gegen den Angreifer zu verteidigen, denn auch er hat seine Schwachstellen. Seife mag er nicht, sie zerstört seine schützende Lipidschicht. Ein Abstand von eineinhalb Metern setzt ihn außer Gefecht. Und so geschah es, dass plötzlich alle von Babyelefanten redeten – einer von vielen unerwarteten Nebeneffekten der Covid-19-Pandemie.
Noch ist das Virus unter uns, lauert, bereit für einen zweiten Angriff. Doch mit seinem Rundumschlag hat der Täter die Aufmerksamkeit der Menschheit gebündelt, Virologen forschen mit Hochdruck und vereinten Kräften nach einem Heilmittel. Die Chancen stehen gut, dass ihm sein großer Erfolg so doch noch zum Verhängnis werden könnte.
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