Propaganda: Als der Krieg der Bilder erfunden wurde
Die Anfänge dessen, was der ukrainische Regierungschef perfekt beherrscht, liegen im Ersten Weltkrieg. Seit damals gehören Propagandabilder ins Waffenarsenal jedes Krieges.
Im Jänner die Dolomitenfront, im April die Isonzofront, Anfang Mai Galizien, Mitte Mai zurück an die Dolomitenfront und weiter nach Kärnten, Istrien, Isonzo sowie Ungarn. Karl gab den siegreichen Feldherrn. Ab 1917 reiste er ständig von Kriegsschauplatz zu Kriegsschauplatz. Auf Schritt und Tritt verfolgt von Filmkameras und Fotografen. Wenig später erschienen die Bilder im Interessanten Blatt, der auflagenstärksten Illustrierten der Monarchie.
Karl von Habsburg war der erste Medienkaiser. Und der Erste Weltkrieg gilt als erster Medienkrieg der Geschichte. „Schon damals ging es darum, Meinungen stromlinienförmig zu machen“, sagt der Historiker Helmut Konrad.
„Im Ersten Weltkrieg erkannten Militärführung und Politik, dass große Kriege nur zu gewinnen sind, wenn man die Begeisterung an der Heimatfront fördert und die Stimmung aufputscht“, erzählt Fotohistoriker Anton Holzer.
Anton Holzer ist Fotohistoriker, Publizist und Ausstellungskurator sowie Herausgeber der Zeitschrift Fotogeschichte. Zahlreiche Publikationen zur Mediengeschichte des Krieges.
Hintergrund: „Die privaten Medienunternehmer waren damals sehr unzufrieden mit den dürren Kommuniqués und vorgefertigten Siegesmeldungen, die vom Militär kamen. Sie wollten die breite Masse erreichen und Profit machen. Da sind Bilder natürlich deutlich leichter zu verkaufen als Texte.“
Franzosen und Amerikaner hatten längst begonnen, in Bildpropaganda zu investieren, als Österreichs Medien noch sehr skeptisch waren.
Auch das Militär sträubte sich, wollte man doch keinesfalls, dass sich Journalisten vor Ort umschauen. Doch dann erkannten sie, dass sie ins Hintertreffen kamen. Ab Frühjahr 1917 baute der Pressechef von Kaiser Karl, Karl Werkmann, die heimische Bildpropaganda auf.
„Medien und Krieg hängen immer zusammen. Wenn man Feindbilder aufbauen und die eigene Überlegenheit propagieren will, braucht man Medien“, weiß Konrad. „Ich kann mir keine Kriege vorstellen, die ohne mediale Begleitung ihrer Zeit geführt worden wären. Es geht darum, den eigenen Mut und die Schwäche oder Hinterhältigkeit des Gegners zu zeigen. Das zieht sich durch alle Kriege.“ Holzer ergänzt: „Nur die Instrumentarien haben sich geändert“ und nennt „vier große Phasen der Kriegsberichterstattung“: Das 19. Jahrhundert, das noch ganz auf Texte fokussierte. Ab dem Ersten Weltkrieg kam der Bilderkrieg, mit den 1950ern das Fernsehen und schließlich in den späten 1990ern das Internet.
Nichts ist zufällig
Mit den Neuen Medien, diagnostiziert Historiker Konrad, gab es auch einen Paradigmenwechsel: „Der Informationskrieg ist aktuell gigantisch und läuft auf allen Ebenen“. Zwei Präsidenten im Fernduell: der eine unrasiert im T-Shirt erreicht die Welt via Handyvideo. Der andere tritt in Designer-Daunenjacke, im gleichgeschalteten Staatsfernsehen auf und füllt Stadien. Beiden gemeinsam: Sie überlassen nichts dem Zufall.
Denn Bilder können stark in den Krieg eingreifen. Das hat sich schon im spanischen Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 gezeigt, im Zweiten Weltkrieg fortgesetzt und Jahrzehnte später als kriegsmitentscheidend erwiesen. Wurden in den 1950ern die aus dem Koreakrieg heimkehrenden Soldaten noch als Helden empfangen, bekamen die Amerikaner mit dem neuen Medium Fernsehen verstörende Bilder vom Vietnamkrieg in die Wohnzimmer geliefert. Die Heimkehrer waren plötzlich keine Helden mehr. Konrad: „Die Jugend brach als Kriegsunterstützer weg. Immer sind also auch Informationen im Wettstreit. Wer schneller und drastischer ist, gewinnt.“
Spätestens an diesem Punkt wird klar, dass Krieg und Pressefreiheit natürliche Gegensätze sind.
Vor allem auf der Seite des Aggressors hat die Pressefreiheit immer rasch verloren.
von Helmut Konrad
Historiker
Das bedeutet auch, dass „die Internationalisierung der Medien in einem Krieg ganz enorm leidet, weil nationale Blöcke entstehen, die das verbreiten, was genehm ist. Nach dem Ersten Weltkrieg waren in Österreich von einem Tag auf den anderen keine ausländischen Zeitungen mehr zu bekommen, nicht einmal französische Modezeitschriften“, erzählt Fotohistoriker Holzer. „Und das passiert heute wieder. Wenn Putin Facebook und Instagram zensiert und ein staatlicher Einheitsbrei entsteht, greift er auf alte Traditionen zurück. Krieg zerstört Medienpluralität.“
Und danach? „Wenn der Krieg aus ist, kommt die mediale Normalität nicht so einfach zurück. Die Verwerfungen sind da und sie bleiben da“. Bedeutet aktuell? „Tiktok und Telegram werden die Profiteure sein.“
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