"I see faces": Warum sehen frischgebackene Mütter überall Gesichter?

Ein Spiegelei mit Speck: Man sieht aber auch ein lächelndes Gesicht.
Aus neuen Forschungen leiten Biologen eine These ab, warum Frauen nach der Geburt eines Kindes eher Gesichtszüge in unbelebten Objekten erkennen. Ein Phänomen, das unter dem Begriff Pareidolie bekannt ist.

Egal ob Steckdosen, vorbeiziehende Wolken, Paprikahälften, Bowlingkugeln oder Toastbrot: Im Alltag begegnen uns Gesichter teilweise unerwartet. Unter dem Hashtag #iseefaces ("Ich sehe Gesichter") werden im Internet täglich millionenfach Bilder von Alltagsgegenständen geteilt, auf denen Menschen Gesichtszüge zu erkennen meinen.

Das Phänomen, das in Fachkreisen unter dem Begriff Pareidolie geführt wird, könnte neuesten Forschungen zufolge bei frischgebackenen Müttern verstärkt auftreten.

Gesichter überall: Hormone könnten Trugbilder triggern

Das könnte, so die Theorie der Forschenden der australischen University of Queensland und der University of the Sunshine Coast, auf den höheren Oxytocinspiegel im Organismus von Müttern zurückzuführen sein. Nach der Geburt schüttet der weibliche Körper erhöhte Mengen des als Kuschelhormon bekannten Botenstoffs aus. Das stärkt unter anderem die Bindung zum Neugeborenen.

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Schon in früheren Forschungsarbeiten hatte sich gezeigt, dass Oxytocin die Fähigkeit von Menschen, bestimmte Emotionen in Gesichtern zu erkennen, beflügeln kann. Darauf aufbauend wollte die Forschungsgruppe untersuchen, ob das Hormon auch eine Rolle bei Pareidolie spielt.

Über eine Online-Plattform rekrutierte man Studienteilnehmerinnen und befragte sie in einem ersten Schritt, ob sie kürzlich entbunden hatten. Dann legte man den Frauen 320 Bilder in zufälliger Reihenfolge vor. Sie sollten auf einer Skala bewerten, wie leicht sie darin ein Gesicht erkennen konnten. 32 Bilder zeigten menschliche Gesichter, 256 unbelebte Gegenstände mit Mustern, die einem Gesicht ähneln könnten, und 32 weitere zeigten unbelebte Gegenstände ohne derartige Gesichtsmuster.

In Summe sammelte die Gruppe so Daten von 84 schwangeren Frauen, 79 Frauen, die im vergangenen Jahr entbunden hatten, und 216 Frauen, die nicht angegeben hatten, schwanger zu sein oder kürzlich ein Kind bekommen zu haben.

Pareidolien sind das Ergebnis bewusst oder unbewusst hervorgerufener Fehldeutungen durch das menschliche Hirn: Es neigt dazu, diffuse und scheinbar unvollständige Wahrnehmungs­bilder und -strukturen zu vervollständigen und vertrauten Mustern und Formen anzugleichen. Dabei scheinen die Art und Gestalt der Trugbilder von der Erwartung des Gehirns abzuhängen.

Das Wort geht auf das altgriechische para (daneben, vorbei) und eídolon (Form, Erscheinung, (Trug-)Bild) zurück.

Neo-Mütter neigen eher zu Pareidolie

Die Ergebnisse zeigen, dass alle Teilnehmerinnen die Bilder mit menschlichen Gesichtern leicht erkennen konnten. Gesichter in den übrigen Bildern zu erkennen, fiel ihnen schwerer. So weit, so unspannend. Allerdings: Frauen, die vor Kurzem ein Kind bekommen hatten, berichteten, dass sie die 256 Gesichtsillusionen leichter sehen konnten als die schwangeren Frauen.

Weil der Oxytocinspiegel in der aktuellen Studie begleitend nicht gemessen wurde, sei es aber auch denkbar, dass die Ergebnisse durch andere Faktoren, etwa ein verändertes Angst- oder Stressempfinden nach der Geburt, erklärbar seien, schreiben die Autorinnen und Autorin im Fachblatt Biology Letters.

Die Ergebnisse deuten aber jedenfalls darauf hin, dass die Wahrnehmung von Gesichtern im Erwachsenenalter während der frühen Elternschaft verändert sein könnte. Der weibliche Körper könnte in dieser Zeit verstärkt darauf gepolt sein, soziale Bindungen aufzubauen. Was wiederum auf den höheren Oxytocinwerten fußen könnte.

"Die Ergebnisse machen neugierig"

Im Interview mit dem britischen Guardian bewertet Joydeep Bhattacharya, Psychologe an der Goldsmiths University of London, die Ergebnisse und abgeleiteten Thesen als plausibel. Es mache Sinn, dass die Gesichtswahrnehmung frischgebackener Mütter anders funktioniert. Das helfe dabei, die Mimik des Säuglings besser lesen zu können.

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Allerdings, so Bhattacharya, der nicht an der Untersuchung beteiligt war, sei in der Studie nicht erhoben worden, ob der Hang zur Pareidolie vor allem bei babyähnlichen Gesichtern auftritt. Ob das besagte Hormon tatsächlich eine Rolle spielt, könne aus den vorliegenden Daten auch nicht abgelesen werden. Die Unterschiede bei der Gesichtswahrnehmung könnten auch auf individuellen Unterschieden bauen: Studien zufolge gibt es in der Bevölkerung große Unterschiede bezüglich der Pareidolie.

"Die Ergebnisse machen neugierig", sagt Bhattacharya. "Aber wir brauchen robustere Wiederholungsstudien und korrekte Messungen, um eine zuverlässige Schlussfolgerung zu ziehen".

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