KURIER: Frau Revedin, Margherita Revedin ist heute vergessen, trotzdem war sie so etwas wie die Mutter der Filmfestspiele Venedig. Wie kam das?
Jana Revedin: Giuseppe Volpi wurde von Mussolini geadelt. Jede aristokratische Zurückhaltung lag ihm fern. Er stilisierte sich selbst zum „Vater“ der Filmfestspiele, die ja in Wirklichkeit eine gemeinsame Initiative des Gruppo Veneziano waren, einer Handvoll alteingesessener venezianischer Aristokraten und Industrieller, die dem heruntergekommenen Venedig seit den 1910er-Jahren neues Leben einhauchten. Zum Amüsement aller ließ sich Volpi von den Angestellten des Excelsior Hotels am Lido „il Doge“ rufen! Margherita hingegen war die stille Kraft im Hintergrund, man könnte sagen die Seele der Filmfestspiele.
Während Volpi bei der ersten Ausgabe 1932 rauschende Bälle für die schon nationalsozialistisch unterwanderte Berliner Ufa Filmgesellschaft auf der Terrasse des Excelsior und im Wagner-Palais Vendramin am Canal Grande gab, lud Margherita zu handverlesenen Abendessen in den „Maurischen Salon“ des Excelsior. Sie hatte dank ihrer Pariser Künstlerfreunde den Kontakt zur Warner Brothers Gruppe in Hollywood hergestellt, deren Film „Grand Hotel“ nach Vicky Baums Roman „Menschen im Hotel“ mit Greta Garbo der Publikumsliebling des ersten Festivals wurde.
Wie darf ich mir die Organisation dieses ersten Festivals 1932 vorstellen?
Volpi lud die „deutsche und italienische Fraktion“ ein, die Revedins die amerikanischen, russischen und französischen Filmemacher. So kam „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ von Rouben Mamoulian zur Aufführung, genau wie „Forbidden“ von Frank Capra oder der expressionistische „Frankenstein“ von James Whale.
Neben Greta Garbo begrüßte Margherita Clark Gable, Norma Shearer, James Cagney, Joan Crawford oder Boris Karloff, den allerersten Frankenstein, bei ihren Dîners. Wichtig war dem jungen Ehepaar Revedin, dass die Filmfestspiele eine Veranstaltung im Sinne der Völkerverbindung und der Offenheit der Kunst wäre, weshalb keine Preise vergeben wurden. Leider wurde diese schöne Vision schon beim folgenden Festival 1934 untergraben, Volpi setzt eine „Coppa Mussolini“ für den besten italienischen und den besten ausländischen Film durch. Der Name der Auszeichnung allein spricht Bände.
Die Contessa Revedin scharte Künstler, Modeschöpfer und Intellektuelle um sich. Wie kam das?
Margherita kam aus einfachsten Verhältnissen, aus Treviso, einem Städtchen nahe Venedig, wo die Revedins ihren Landbesitz hatten, und trug dort die Zeitungen aus. Der junge Graf Revedin, Philanthrop und passionierter Fotograf, war begeistert von ihrer Neugier auf Kunst und Kultur und machte sie, entgegen aller gesellschaftlicher Regeln, zu seiner Frau. Vor der Hochzeit sandte er sie ein halbes Jahr nach Paris, unter die Fittiche der damals größten Kunstmäzenin der Moderne, der chilenischen Silberminenerbin Eugenia Errázuriz. In ihrem Salon lernte sie nicht nur deren Protegés (Coco Chanel, Igor Strawinsky, Blaise Cendrars, Pablo Picasso und den jungen Jean-Michel Frank) kennen; Eugenia bildete und förderte die junge Margherita zeitlebens wie eine Ziehtochter.
Was war die Rolle von Peggy Guggenheim, und wie wurden die beiden Freundinnen?
Peggy Guggenheim kam nach Paris, um ihrer New Yorker Familie zu entfliehen und landete unweigerlich im Salon von Eugenia Errázuriz. Die schickte sie, da ihr ihr hochfahrendes Wesen unerträglich war, im Herbst 1920 zu Margherita nach Venedig, die sie frisch verheiratet empfing. Peggy lebte von ihrem Vermögen, sammelt Männer und sucht verzweifelt nach einem Lebenssinn. So freundeten sich die ungleichen jungen Frauen an und Peggy entdeckte ein Dutzend Jahre später dank Margherita und Eugenia ihre Passion, die zeitgenössische Kunst. Als sie nach dem Zweiten Weltkrieg als gemachte Kunstsammlerin, doch heillos vereinsamt, in Venedig Zuflucht suchte, war es Margherita, inzwischen verwitwet, mittellos und gesellschaftlich ausgegrenzt, die sie dort verlässlich erwartete.
Bereits 1932 warfen Nationalsozialismus und Faschismus ihre Schatten bis nach Venedig, Leni Riefenstahls „Das blaue Licht“ der Berliner UFA wurde gezeigt. Wie stand Margherita zum sich damals schon abzeichnenden faschistischen Umfeld?
Schon bei der Erstausgabe der Filmfestspiele 1932 sah sie klar, dass die nationalsozialistisch-faschistische Phalanx sowohl die Kunstbiennale als auch das Filmfestival zu dominieren suchte. Nach dem Tod ihres Mannes 1936 und dem sie überwältigenden Familien-Bankrott zog sie sich notgedrungen aus der Öffentlichkeit zurück, nicht ohne die Entwicklung des Films weiterhin begeistert zu verfolgen. Die Nouvelle Vague und der Neorealismus der 1950er und 1960er gaben ihr neue Hoffnung, weil die Kunst sich hier wieder politischer Verantwortung stellte.
Kommentare