Um ein Haar wäre Marco Polos China-Abenteuer schon im Pamir-Gebirge zu Ende gewesen. Tausende Kilometer Reise zwischen Europa und Zentralasien fordern ihren Tribut – der junge Venezianer erkrankt schwer. Es dauert ein Jahr, ehe sein ausgemergelter Körper fit für die Weiterreise ist. Leichter wird es nicht: „Überall Berge, Sand und Täler, nichts Essbares“, notiert Marco. Auf alten Handelswegen, über die sich Buddhismus und Islam verbreitet haben, ziehen sie weiter.
Als der Palast des Kublai Khan nur noch 40 Tagesreisen entfernt ist, kommen ihnen Gesandte des Mongolenherrschers entgegen. Sie geleiten die Polos zur Sommerresidenz Shangdu, der Stadt der 108 Tempel. Dort knien die Venezianer 1275 vor dem Enkel des großen Dschingis Khan. „Ein Prachtbau aus Marmor und Stein“, notiert Marco Polo, „Säle und Zimmer sind vergoldet.“
Die Polos sind bei Weitem nicht die einzigen Kaufleute aus dem Westen, die damals bis nach China vordringen. „Die Seidenstraße und andere Routen werden zuvor bereits von einheimischen Händlern genutzt. Die aus dem islamischen Raum gehen nach China, die aus China kommen nach Zentralasien“, erzählt Johannes Preiser-Kapeller. Der Historiker von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) wird sich demnächst in einer Vorlesung nicht nur mit Marco Polo, sondern auch mit all den anderen Reisenden des 13. Jahrhunderts beschäftigen.
Und die gab es durchaus.
Im Folgenden erfahren Sie
wer diese Reisenden waren,
was Marco Polo im Reich der Mitte gesehen und erlebt haben will,
und ob er tatsächlich dort war oder nur abgeschrieben hat.
„Wir kennen Berichte von Reisenden, die noch viel weiter herum kamen. Ibn Battuta etwa, ein muslimischer Reisender aus Marokko. Alles zusammen gerechnet hat er die Erde ungefähr dreimal umrundet.“ Denn es war die Zeit, in der die Mongolen-Khane westlichen Kaufleuten gestatteten, die Kurienstraßen in Zentralasien zu benutzen. Der Mittelalterforscher ist sicher, dass Hunderte Personen da hin und her reisten.
Venezianer und Genuesen dominierten, daneben Leute aus Pisa, Südfrankreich und Barcelona.
von Johannes Preiser-Kapeller
Historiker, ÖAW
Missionare – vor allem Franziskaner – wurden ebenfalls ausgeschickt. „Da waren auch Mitteleuropäer dabei. Odorico von Pordenone (damals unter habsburgischer Herrschaft) wird auch der österreichische Marco Polo genannt. Andere kommen nicht freiwillig nach China, denn die Mongolen plündern bis Mitteleuropa und verschleppen Handwerker aus Polen oder Ungarn und Bergleute aus Deutschland, die in Rumänien gearbeitet haben,“ erzählt Preiser-Kapeller, der nach seinen Forschungen überrascht ist, „dass Reisende schon damals immer und überall Anschluss fanden. Egal, wo Ibn Battuta hinkam – er fand bereits muslimische Gemeinschaften vor und konnte andocken. Marco Polo fand ebenfalls chinesische Christen. Sie waren also nie die Ersten, es gab so viel Unbekannte, die schon vorher dort waren.“
„Niccoló und Maffeo Polo gehörten aber sicher zu den ersten europäischen Händlern, die damals in diese Richtung aufbrachen“, sagt der Mittelalterforscher.
Bereits 1260 hatten sie die Residenz des Kublai Khan erreicht und waren nach guten Geschäften neun Jahre später nach Venedig zurückgekehrt. Den Polos ging es vor allem um Edelsteine. Die Mongolen ihrerseits interessierten sich für Waffen und Textilien. Pelze und Seide wurden gehandelt – Luxusprodukte, die großen Profit bringen.
In Venedig wartet der 17-jährige Marco auf Vater sowie Onkel. Und darauf, selbst nach China aufzubrechen. Er ist 20, als sie endlich ankommen.
Er war jung und wendig, erlernte die Sprache und machte Karriere als Verwaltungsbeamter im Dienst des Kublai Khan.
von Johannes Preiser-Kapeller
Mittelalterforscher
Der Forscher weiter: "Das war nicht außergewöhnlich, denn die Mongolen waren nach ihren Eroberungsfeldzügen eine kleine Minderheit unter den vielen Chinesen, denen sie nicht trauten. Daher beschäftigten sie lieber Ausländer in der Verwaltung.“
Modernes China
In den Augen des jungen Venezianers ist das Reich überaus modern. Es gibt lebendige Millionenmetropolen, gut ausgebaute Straßen und blühendes Handwerk. Längst zahlen die Chinesen mit Papiergeld, das sie aus der Rinde des Maulbeerbaumes herstellen. In Europa kennt man nur Münzen. Auch über ein Postsystem verfügen sie: Mit mehr als 200.000 Pferde bringen Reiter Nachrichten von Station zu Station.
Kublai Khan ist ebenfalls beeindruckt – von Marco Polo. Während Vater und Onkel ihren Geschäften nachgehen, lernt er eine Sprache nach der anderen.
Vielgereister
Als Vertrauter des Herrschers reist er durch Tibet, gelangt als erster Europäer ins Innere von Birma, nach Thailand und Vietnam, vielleicht auch nach Sibirien. Seine Lieblingsstadt wird Hangzhou. Die Metropole am Meer war erst wenige Jahre zuvor von den kriegerischen Mongolen erobert worden, und sie sei, so notiert es Polo, „die bei Weitem glanzvollste Stadt der Welt“. Dort gebe es „öffentliche, warme Bäder“, in denen „hundert Männer oder hundert Frauen bequem zur gleichen Zeit miteinander baden können“.
Letzter Auftrag
In den 1280er-Jahren verschlechtert sich der Gesundheitszustand des Khans und der Widerstand der Chinesen gegen die Mongolen wächst. Die Polos zieht es in die Heimat. Nach langem Zögern willigt der Herrscher ein. Als letzten Auftrag sollen sie Prinzessin Kokejin zu ihrem künftigen Gatten nach Persien bringen. 14 Schiffe werden ausgerüstet, 600 Passagiere drängen an Bord, Matrosen nicht mitgerechnet. 1292 sticht man von Quanzhou aus in See.
Die Fahrt entlang der indischen Küste fordert einen hohen Tribut. Unwetter und Skorbut raffen die Reisenden dahin. Nur 18 kommen lebend in Hormus an.
Als die in Lumpen gekleideten Polos schließlich 1295 Venedig erreichen, erkennt sie niemand mehr. Nach den vielen Jahren in China sprechen sie mit einem seltsamen Akzent. Erst als das heruntergekommene Trio die Säume seiner Gewänder aufreißt, kommen Rubine, Diamanten und Smaragde zum Vorschein.
Marco Polo kehrte als reicher Mann zurück.
von Johannes Preiser-Kapeller
Historiker
„Er wird ein respektabler Bürger und als solcher zieht er in den Krieg gegen Genua. 1298 wird er gefangen genommen“, erzählt der Wissenschafter.
In der Haft wird ein Mitgefangener als Ghostwriter Marco Polos Abenteuer niederschreiben. Doch weil Rustichello als Autor von Abenteuer- und Ritterromanen bekannt ist, glaubt man, Polos Geschichte sei ebenfalls Fiktion. Er selbst sagt später auf dem Totenbett: „Ich habe nicht mal die Hälfte von dem aufgeschrieben, was ich erlebt habe.“
Den Vorwurf, Marco Polo habe mit der Größe chinesischer Städte übertrieben, kann Historiker Preiser-Kapeller entkräften. „Heute können wir rekonstruieren, dass die Hauptstadt tatsächlich zehnmal so viele Einwohner hatte als Venedig, die damals einwohnerreichste Stadt Europas. In Khan balik lebte eine Million Menschen“.
Auch dass Polo vieles nicht beschrieben habe, ist für den Forscher verständlich. „Er hat durch die christliche Brille auf das Mongolenreich geschaut. Als Christ suchte er das Grab der Heiligen Drei Könige im Nordwesten des Iran. Außerdem hatte er die klassisch westliche Bildung und war sich sicher, den Palast gesehen zu haben, in dem Alexander der Große Roxane geheiratet hatte. Manches aber übersieht er“, sagt Preiser-Kapeller. „Andere Reisenden bemerkten es – zum Beispiel, dass den Frauen die Füße zusammengebunden wurden.“ Die Berichte können sich ergänzen, meint der Historiker, und ein vollständigeres Bild der damaligen Welt ergeben.
In einem Punkt ist sich der Mittelalterforscher aber sicher: Dass Polo nie in China gewesen sei, „ist wirklich eine Minderheitenmeinung aus den 1970er-Jahren, die man nicht ernst nehmen kann“.
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