Man denke an Ex-US-Präsident Bill Clinton: In den Neunzigern bestritt er eine sexuelle Beziehung zu seiner Praktikantin Monica Lewinsky erst unter Eid, ehe er der Lüge überführt wurde und die vertuschte Affäre schließlich vor laufenden Kameras zugeben musste. Im Amt blieb er dennoch. Man denke an kirchliche Würdenträger, deren sexuelle Vergehen an Kindern lange weitgehend ignoriert und ohne Konsequenzen blieben. Oder FIFA-Boss Sepp Blatter der trotz einer mit Bestechungsvorwürfen gepflasterten Karriere lange fest im Sattel des Weltfußballverbands saß.
Man denke an den Sexismus, die Lügen, den Aufruf Wahlergebnisse nicht anzuerkennen und das Horten geheimer Staatsdokumente von Donald Trump. Oder den britischen Premier Boris Johnson, der wegen Verfehlungen wiederholt unter Druck geriet, bevor er sein Amt aufgab. "Nicht zu vergessen Sänger Till Lindemann als aktuelles Beispiel", sagt Autorin Bauer-Jelinek.
Wie die historische Vormacht Einsichten hemmt
Sich in hausgemachten Krisen an Privilegien krallen: Das eint die genannten Männer. Ob und in welcher Weise sie sich dabei von Frauen unterscheiden, sei aber nicht beantwortbar, schildert Bauer-Jelinek: "Das werden wird erst klären können, wenn es genügend Frauen in öffentlich wahrnehmbaren Machtpositionen gibt." Dass mächtigen Frauen keine Fehler passieren, sei aber ohnehin eine Illusion. "Sie sind nicht die besseren Menschen."
Frauen wurden zwar lange Zeit anders sozialisiert. In Krisen suchen sie eher Hilfe im Umfeld oder professionellen Rat. "Allerdings", weiß Bauer-Jelinek, "geht das am Weg nach oben verloren." Über der gläsernen Decke würden andere Mechanismen regieren.
Beispiele aus der Geschichte sprechen teils eine andere Sprache: In einer inzwischen historischen Erklärung entschuldigte sich zum Beispiel die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel für überzogene Corona-Maßnahmen. CDU-Parteikollegin Annegret Kramp-Karrenbauer legte nach internen Unstimmigkeiten mit Blick auf die rechtspopulistische AfD den Parteivorsitz überraschend rasch zurück. Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern ließ bei ihrem Rücktritt wissen, dass sie "nicht mehr genug im Tank habe", um ihren Job zu meistern. Zuvor war zunehmend Kritik an ihrer Wirtschaftspolitik laut geworden.
Netzwerke und schweigende Frauen befähigen zum Machterhalt
Dass Machtmänner oft darauf beharren, Skandale auszusitzen, liege daran, dass ihnen ihre Macht jahrhundertelang nicht strittig gemacht wurde. "Natürlich decken sich männliche Netzwerke gegenseitig." Allerdings – betont Bauer-Jelinek – "liegt es auch an den Frauen, die diese Männer stützen". Das "Narrativ, dass das Patriarchat die Quelle allen Übels ist", sieht sie kritisch.
In der Tat zeigt sich diese "Mittäterinnenschaft", wie die Psychotherapeutin es formuliert, besonders ausgeprägt bei Luis Rubiales, dessen Mutter gar in den Hungerstreik trat, um ihren ihrer Meinung nach unschuldigen Sohn zu rehabilitieren. Aber auch bei Bill Clinton, der durch das Schweigen seiner Ehefrau Hillary geschont wurde. Oder Till Lindemann, dem vorgeworfen wird, durch eine Strippenzieherin Frauen für Partys akquiriert zu haben. Im Fall Rubiales distanzierte sich auch Co-Trainerin Montse Tomé spät. Stillschweigen, um in einem männlich dominierten System zu überleben – Bauer-Jelinek hält das für den falschen Weg: "Das schwächt Frauen mehr, als es sie stärkt."
Wenn Fehltritte und Unterdrückung in einem Topf landen
Problematisch sei auch, dass insbesondere beim Thema sexualisierte Gewalt kleinere Übergriffe im öffentlichen Diskus teils mit schwerwiegendem Missbrauch vermischt und auf eine Stufe gestellt werden: "Es passieren Femizide, es passiert von Männern dominierte strukturelle Gewalt und Unterdrückung in Unternehmen – darüber wird viel weniger gesprochen als punktuelles Fehlverhalten von prominenten Männern wie Luis Rubiales. Dabei sollten Erstere viel mehr mediale Aufmerksamkeit bekommen."
Kompetenzen für die Zukunft erlernen
Psychologisch sei das Kleben an der Macht nachvollziehbar: "Man hat viel investiert, möchte das nicht verlieren." Hinzu kommt mangelnde Selbstreflexion. Letzteres ist in Machtzirkeln verbreitet, weil es direkt dort kultiviert wird: "Machtfiguren bekommen kein ehrliches Feedback, werden umworben, hofiert und in der Illusion gehalten, sie würden alles richtig machen." Ist das Umfeld auf Unterwürfigkeit programmiert, bestärkt das Unrechtsbewusstsein und schlimmstenfalls Größenwahn. "Und wo Menschen abgehoben sind, kann keine Reflexion passieren."
Bei weniger gravierenden Fehltritten hält Bauer-Jelinek Rücktrittsforderungen für überzogen. Vorausgesetzt man zeigt ehrliche Einsicht. "Es wäre gescheiter, wenn Männer aus solchen Situationen lernen, um sich künftig anders zu verhalten. Luis Rubiales hätte zum Beispiel einsehen und zugeben können, dass sein Verhalten falsch war. Er hätte sich entschuldigen und ankündigen können, was er in Zukunft besser machen will. Und zwar sofort. Dann hätten alle was davon gehabt."
Nach dem Abdanken bleibt ein Beigeschmack
Luis Rubiales will seinen Abgang jedenfalls nicht als Schuldeingeständnis verstanden wissen. In der Öffentlichkeit bleibt sein Ausscheiden ein Abdanken mit Beigeschmack.
Dass das Problem oft die Macht selbst und nicht falsch verstandene Männlichkeit an sich ist, zeigen nicht zuletzt Beispiele einflussreicher Männer, die es anders gemacht haben. Etwa Rudolf Anschober, der sich nach einem keineswegs fehlerfreieren Pandemie-Management der Aufgabe als Gesundheitsminister nicht mehr gewachsen sah – und zurücktrat.
Ein Rücktritt kann eben auch ein Zeichen von Stärke sein.
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