KURIER: Herr Blom, Sie nennen das Bibelzitat eine Art mythologische Atombombe. Warum?
Philipp Blom: Diese Aufforderung platzte in eine Welt, in der alle Menschen selbstverständlich Polytheisten waren, die sich in einem Gefecht von Interessen sahen – mit Göttern, Dämonen und Geistern. Alles wollte ausgehandelt werden. Wenn ich in See steche, muss ich zum Beispiel Poseidon opfern. Diese Gegenseitigkeit im Umgang mit dem Rest der Welt, ist ein völlig anderes Lebensgefühl als das der Bibel, die sagt: Die Natur ist Staub, mit ihr kannst du machen, was du möchtest. Sie hat keine Interessen, ist unendlich verfügbar. Du kannst sie klassisch patriarchalisch verkaufen, vermieten, aufgraben. Eine unglaubliche Veränderung des Weltbildes. Doch jetzt bricht die Geschichte der Beherrschung der Natur zusammen und wir müssen eine andere Geschichte finden, die erklärt, wo wir hingehören. Diese Kränkung, weil unser ganzes Lebensmodell den Bach runter geht, ist psychologisch sehr einschneidend.
Warum?
Viele Menschen verstehen nicht, dass heute falsch sein soll, was jahrzehntelang richtig war. Wir wurden alle angehalten, zu konsumieren, Autos zu kaufen, zu fliegen, Benzin zu verbrennen. Das war das Rezept unseres Wohlstands. Das war der Fortschritt. Kann das falsch sein, wenn diese schmutzige, grausame Wachstumswirtschaft, die wir in den letzten 60 Jahren gefahren haben, uns auch einen unglaublichen Wohlstand, höhere Lebenserwartung, Demokratie, Frauen- und Minderheitenrechte brachte? Bis vor Kurzem war der ernsthafte Standpunkt: Wir sind auf einem guten Pfad und gehen auf die Vollendung unserer Gesellschaft zu. Das wurde uns jetzt aus der Hand geschlagen. Diese Kehrtwende in den Köpfen ist sehr schwierig.
In Ihrem Buch „Die Welt aus den Angeln“ beschreiben Sie ein ähnliches Szenario: Während der Kleinen Eiszeit zwischen 1600 und 1700 hat sich die Gesellschaft innerhalb von drei Generationen total verändert. Damals hat der Klimawandel erst Europas Gesellschaftsstruktur zerstört, um schließlich beim Entstehen der modernen Welt Pate zu stehen.
Ja, das damalige Modell – ein Vertrag zwischen Gott und seinen Gläubigen – brach zusammen, weil es kälter wurde, weil es Hungersnöte gab und weil die Menschen noch mehr beteten als vorher und es trotzdem kalt blieb. Dann fingen alternative Wissensformen an, in dieses Vakuum vorzustoßen: Alchimisten, Mystiker, Philosophen und die ersten Wissenschafter haben versucht, ihr Erklärungsmodelle anzubieten.
Wir wachsen alle mit Mastererzählungen auf, die uns helfen, uns in der Welt zu orientieren, die definieren, was gut und was böse ist. Wenn die Narrative das nicht mehr leisten können, wie jetzt die Geschichte der Beherrschung der Erde und des ewigen Wachstums, weil zu viel zerstört ist, entsteht ein Vakuum. In dieses Vakuum stoßen gerade neue Erklärungsversuche vor, die die vorherrschende Erklärung werden wollen.
Zum Beispiel?
Tech-Optimisten glauben, dass wir nur warten müssen, bis die entsprechenden Technologien erfunden werden, die uns erlauben, weiter so zu konsumieren wie heute. Das ist nur eines der Erklärungsmodelle für die heutige Situation. Und es ist überhaupt noch nicht klar, welches Narrativ dieses Vakuum füllen wird. Weil es aber nicht nur um philosophische Fragen geht, die jetzt ausgehandelt werden, sondern um politische Macht, ist die aktuelle Diskussion so wichtig. Fest steht aber, dass wir jetzt, da die Geschichte der Beherrschung der Natur zusammenbricht, eine andere Geschichte finden müssen, die auch erklärt, wo unser Platz auf der Welt ist.
Sehen Sie da bereits ein tragfähiges Modell?
Wir müssen unser Verhältnis zu Natur managen, umgehen lernen mit dem Geben und Nehmen, mit all den anderen Lebewesen. Das unterscheidet sich gar nicht so sehr von dem, was die Polytheisten früher getan haben. Nur haben wir inzwischen das Vokabular der Wissenschaft, wir müssen nicht Zeus oder Odin opfern. Wir können die Kräfte in der Natur benennen, messen und berechnen. Aber wir können nicht so tun, als würden sie nicht bestehen. Denn was im brasilianischen Regenwald passiert, hat unmittelbare Auswirkungen auf die österreichische Landwirtschaft. Die einfache Einsicht, dass wir Teil der Natur sind, Teil eines riesigen und komplexen Systems, ist schon revolutionär. Wenn wir unseren Ort innerhalb dieses Systems nicht finden, dann haben wir bald keinen Ort mehr.
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