Der Inn hat seit mehreren Jahren den Gefrierpunkt nicht mehr erreicht

Der Inn hat seit mehreren Jahren den Gefrierpunkt nicht mehr erreicht
Alpine Gewässer erwärmen sich schneller als erwartet und das ganz besonders in den Wintermonaten. Mit dramatischen Auswirkungen.

Schön frisch sind sie, die Alpenbäche. Daher ging man bisher davon aus, dass die Erwärmung von Gebirgsflüssen in Zeiten des Klimawandels aufgrund des Kaltwassereintrags durch Schnee oder Eis gedämpft wird.

Irrtum, mussten die Klimaforscher jetzt feststellen: Die Lufttemperaturen in Gebirgsregionen steigen - so viel wusste man schon länger - schneller als im globalen Durchschnitt. Daher sind Erwärmungseffekte auch für kalte Flussökosysteme zu erwarten.

Georg Niedrist wollte es jedenfalls genau wissen und schaute sich die Wassertemperatur der Tiroler Gebirgsflüsse Inn und Großache an. Der Wissenschafter in der Forschungsgruppe Fließgewässerökologie und Naturschutz am Institut für Ökologie der Universität Innsbruck analysierte dazu Langzeit-Messdaten des Hydrologischen Dienstes des Landes Tirol. „Nachdem wir in vorangehenden Arbeiten bereits signifikante Erwärmungen in Fließgewässern im Hochgebirge zeigen konnten, widmete sich diese Studie den tiefer liegenden Flüssen Inn und Großache – stellvertretend für größere Alpenflüsse“, sagt Niedrist.

Der Inn hat seit mehreren Jahren den Gefrierpunkt nicht mehr erreicht

Langzeit-Daten für den Inn zeigen eine konstante Erwärmung, besonders in den Wintermonaten

Dabei konnte er für den Inn auf Langzeitdaten aus den vergangenen 45 Jahre und für die Großache aus 25 Jahre zurückgreifen. Jetzt weiß der Ökologe: Die Wassertemperatur in Inn und Großache stieg um +0,24 und +0,44 °C pro Jahrzehnt. Auch die jährlichen Höchst- und Tiefsttemperaturen stiegen im Beobachtungszeitraum signifikant und die warmen Perioden wurden deutlich länger.

Warme Winter

„Neu ist eine generelle und erhebliche Erwärmung beider Gewässer in den Wintermonaten. So steigen die winterlichen Temperaturen zumindest ähnlich schnell wie jene im Sommer“, erläutert der Ökologe. Dabei zeigt besonders das vergangene Jahrzehnt einen starken Anstieg der niedrigsten und höchsten Wassertemperaturen pro Jahr, welcher mit dem Anstieg der lokalen Lufttemperaturen korreliert. Die fünf höchsten Tagesmittelwerte des Inns wurden beispielsweise alle im Zeitraum von 2013 bis 2020 gemessen und seit mehreren Jahren hat die Wassertemperatur im Inn nicht mehr den Gefrierpunkt erreicht – auch nicht für wenige Stunden.

Vor allem aufgrund der neu aufgezeigten Erwärmung der Gewässer im Winter müssen wir von drastischen Auswirkungen auf die winterliche Entwicklung von Kaltwasserorganismen wie beispielsweise der Bachforelle ausgehen.

von Georg Niedrist

Ökologe

„Vor allem aufgrund der neu aufgezeigten Erwärmung der Gewässer im Winter müssen wir von drastischen Auswirkungen auf die winterliche Entwicklung von Kaltwasserorganismen wie beispielsweise der Bachforelle ausgehen“, sagt der Ökologe.

Dramatische Auswirkungen

Da die Wassertemperatur einer der entscheidenden Faktoren ist, die Leben und Schlüssel-Prozesse in Gewässern regulieren, hat diese Entwicklung weitreichende Folgen für den Lebensraum Fluss. „Die Wassertemperatur reguliert die biologische Aktivität und das Wachstum wassergebundener Organismen, sie hat Einfluss auf physikalische und chemische Eigenschaften des Wassers, was z.B. die Löslichkeit von Sauerstoff oder Mineralien betrifft, und steigende Wassertemperaturen ermöglichen das Einwandern gebietsfremder Arten oder begünstigen auch Parasiten“, beschreibt der Ökologe.

„Durch ihren Einfluss auf die biologische Aktivität reguliert die Wassertemperatur auch wichtige Ökosystemprozesse wie die Zersetzung von organischem Material und letztlich auch die Selbstreinigungskraft der Gewässer.“ In einem weiteren Schritt will der Ökologe nun die weitreichenden Folgen der zu erwartenden weiteren Erwärmung der Fließgewässer auf biologische Gemeinschaften untersuchen. „Aufgrund der Geschwindigkeit, in der die Erwärmung des Alpenraums jetzt passiert, sind noch viele Folgen und Wechselwirkungen weitestgehend unbekannt“, befürchtet Niedrist.

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