Klimaschutz könnte Eisschmelze um bis zu 70 Prozent bremsen

Die Eisschmelze in Grönland fällt bei den Prognosen schwer ins Gewicht.
Jetzt liegen die genauesten Berechnungen vor, wie sich die Reduktion von Emissionen bis 2100 auf den Meeresspiegel auswirkt.

Es ist viel mehr als ein Zahlenspiel, es geht um den Verlust von Lebensraum, die Gefährdung von Süßwasserressourcen und drohende Naturkatastrophen. Welche Konsequenzen ein Anstieg des Meeresspielgels hat, ist bekannt. Die Prognosen, wie hoch der Pegel steigen könnte, werden immer genauer.

Werden die Klimaziele eingehalten und die globale Erwärmung um 1,5 Grad Celsius begrenzt, würden sich im Vergleich zu den aktuellen Emissionszusagen der Länder bis 2100 die Verluste des grönländischen Eisschildes um 70 Prozent und jene der Gletscher um die Hälfte reduzieren. Damit könnte der prognostizierte Anstieg des Meeresspiegels halbiert werden, berichtet ein internationales Forscherteam, darunter der Innsbrucker Glaziologe Fabien Maussion, im Fachjournal "Nature".

Verschiedene Szenarien berechnet

Durch die Klimaerwärmung kommt es zum Abschmelzen der Gletscher sowie der Kontinentaleisschilde Grönlands und der Antarktis und in der Folge zu einem Anstieg des Meeresspiegels. Diese Schmelze ist derzeit für etwa die Hälfte des globalen Meeresspiegelanstiegs verantwortlich, der Rest entsteht durch die Ausdehnung des wärmeren Wassers. Ein Team von 80 internationalen Forschern hat nun in bisher unerreichter Genauigkeit den künftigen Anstieg des Meeresspiegels unter Berücksichtigung verschiedener Szenarien modelliert.

Tirol steuert Modell für Gletscherentwicklung bei

Sie kombinierten dazu unterschiedliche Computermodelle mit statistischen Methoden, um Datengrundlagen für den kommenden sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarates (IPCC) bereitzustellen. Fabien Maussion vom Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck steuerte dazu Projektionen der potenziellen Veränderungen der Gebirgsgletscher bei, basierend auf einem an der Uni entwickelten Gletscherentwicklungsmodell.

Bis zu 70 Prozent geringere Verluste

"Würden wir bei den aktuellen Emissionszusagen der Länder bleiben, würde das Meeresspiegel wahrscheinlich um 25 Zentimeter steigen", erklärte Maussion: "Wenn wir aber die globale Erwärmung um 1,5 Grad Celsius begrenzen, macht der Anstieg wahrscheinlich nur 13 Zentimeter, also rund die Hälfte, aus." Die Verluste des grönländischen Eisschildes würden sich dann im Vergleich zur Entwicklung nach den aktuellen Emissionszusagen bis zum Ende des Jahrhunderts um 70 Prozent und die der Gletscher um die Hälfte reduzieren.

Meeresspiegel steigt je nach Berechnung bis zu 40 cm

Berücksichtigt man auch die Unsicherheitsbereiche, die in solchen Prognosen immer angegeben werden, beträgt bei einer 1,5-Grad-Begrenzung die Wahrscheinlichkeit eines Meeresspiegelanstiegs von höchstens 28 Zentimetern 95 Prozent. Bleibt man dagegen bei den aktuellen Zusagen der Länder liegt das obere Limit des Unsicherheitsbereichs bei einem Anstieg von 40 Zentimetern.

Viele Einflussfaktoren noch unklar

Großer Unsicherheiten gibt es bei der weiteren Entwicklung in der Antarktis. Für diese sind die Vorhersagen für die unterschiedlichen Emissionsszenarien gleich, weil derzeit noch unklar ist, ob der Schneefall im kalten Inneren des Kontinents das Schmelzen an den Küsten ausgleicht. Sollte aber das pessimistische Szenario Realität werden, das mit viel mehr Schmelze als Schneefall rechnet, könnten die Eisverluste in der Antarktis fünfmal größer ausfallen.

Rasanter Anstieg ab 2060 droht

In einer zweiten, ebenfalls in "Nature" veröffentlichten Studie kommt ein Forscherteam um Robert DeConto von der University of Massachusetts Amherst (USA) zum Schluss, dass bei einer Erwärmung von 3 Grad Celsius bis 2100 - das ist jener Erwärmungspfad, der mit den derzeitigen Emissionen fossiler Brennstoffe übereinstimmt - die Geschwindigkeit des Eisverlusts in der Antarktis ab 2060 erheblich zunimmt und bis zum Ende des Jahrhunderts einen Anstieg des Meeresspiegels um 0,5 Zentimeter pro Jahr auslöst.

Klimakonferenz im November als Weichensteller

"Der globale Meeresspiegel wird weiter ansteigen, selbst wenn wir jetzt alle Emissionen stoppen, aber unsere Untersuchung legt nahe, dass wir den Schaden begrenzen könnten", erklärte die Hauptautorin der Arbeit, Tamsin Edwards, vom King's College London laut Aussendung der Uni Innsbruck. Sie verweist auf die im November geplante UN-Klimakonferenz, für die viele Nationen ihre Zusagen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen aktualisieren.

Eisschmelze wirkt sich auf Süßwasser und Natur aus

Für Maussion beinhaltet die Studie eine "unmissverständliche Botschaft: Es ist enorm wichtig, die Erwärmung zu begrenzen, um Küstenregionen zu schützen". Zudem sei der Anstieg des Meeresspiegels nicht die einzige Folge. Der Glaziologe erklärt: "Das Abschmelzen der Gletscher wirkt sich auch auf die Süßwasserressourcen in vielen vergletscherten Becken aus und erhöht die Risiken von Erdrutschen und Überschwemmungen. Jedes Zehntelgrad zählt und macht einen Unterschied für künftige Generationen."

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