„Forever Chemicals“: Umweltgifte an 17.000 Orten in Europa nachgewiesen

„Forever Chemicals“: Umweltgifte an 17.000 Orten in Europa nachgewiesen
Ein großes Kartierungsprojekt zeigt, wo "Ewigkeitschemikalien" Umwelt und Gesundheit belasten. Experten reden von Spitze des Eisbergs.

Weit verbreitet, langlebig, potenziell giftig und in der Breite noch gar nicht genau untersucht: So könnten die sogenannten Ewigkeitschemikalien PFAS umrissen werden. Die von der Industrie breit genutzten Substanzen sind intensiv diskutiert, denn langfristig sie sollen in der EU verboten werden. Dabei geht es geschätzt um insgesamt mehr als 10.000 einzelne Stoffe.

Nun wurde ein großes Kartierungsprojekt veröffentlicht, dem zufolge diese „Forever Chemicals“ an Tausenden Orten in Europa und Großbritannien gefunden wurden und zwar in hohen Konzentrationen. Die Europa-Karte zeigt, wo die Per- und Polyfluoralkylsubstanzen - kurz Pifas gesprochen - in Wasser, Böden sowie in einer breiten Palette an Verbraucherprodukten, Abfall und industriellen Prozesse nachgewiesen werden konnten.

Belastend für Umwelt

Die extrem stabilen Chemikalien, die natürlicherweise nicht vorkommen, können sich in der Umwelt anreichern. Viele mit PFAS verunreinigten Orte sind nach Einschätzung von Experten noch unbekannt. „Was wir sehen ist vermutlich die Spitze des Eisberges“, zitiert die Deutsche Presse-Agentur etwa Dirk Messner vom deutschen Umweltbundesamt.

Einige PFAS finden unter anderem über Kläranlagen ihren Weg in Flüsse, Seen und Meere. Im vergangenen Jahr ergab eine Studie, dass PFAS selbst in den entlegensten Weltregionen im Regenwasser nachweisbar sind. „Mit der Aufnahme von PFAS aus verunreinigten Böden und Wasser in Pflanzen und der Anreicherung in Fischen werden diese Stoffe auch in die menschliche Nahrungskette aufgenommen“, schreibt das Umweltbundesamt. Menschen können PFAS zudem über die Luft und Trinkwasser aufnehmen.

Aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften - die Stoffe sind u.a. sehr stabil und öl- wie auch wasserabweisend - werden sie breit verwendet. Sie finden sich in Alltagsgegenständen wie Anoraks, Pfannen und Kosmetik, sind aber auch Teil von Industrieprozessen und technischen Anwendungen. In Österreich sind sie etwa in Pizzakartons oder Kaffeebechern enthalten.

Schädlich für die Gesundheit

Zwei PFAS werden prinzipiell mit einer Reihe von Gesundheitsproblemen in Verbindung gebracht. So kann PFOA mit Nieren- und Hodenkrebs, Schilddrüsenerkrankungen, Colitis ulcerosa, hohem Cholesterinspiegel und schwangerschaftsbedingtem Bluthochdruck in Zusammenhang stehen. PFOS kann Fortpflanzungs-, Entwicklungs-, Leber-, Nieren- und Schilddrüsenerkrankungen auslösen. Niedrigeren Konzentrationen von PFAS wiederum können das Immunsystem beeinträchtigen.

„Die PFAS-Verschmutzung ähnelt der Plastikverschmutzung, da diese Chemikalien nicht abbaubar sind, aber im Fall von PFAS ist sie unsichtbar“, kritisiert ein Insider: „Wir setzen sie kontinuierlich frei, sodass die Konzentrationen in der Umwelt weiter steigen werden und es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Konzentrationen von PFAS in der Umwelt oder in unserem Körper die Schwelle überschreiten, an der es zu Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit kommt.“

17.000 Standorte betroffen

Die Substanzen wurden aktuell an etwa 17.000 Standorten in Europa inklusive Großbritannien gefunden. Davon wurden PFAS in hohen Konzentrationen von mehr als 1.000 Nanogramm pro Liter Wasser an etwa 640 Standorten und über 10.000 ng/l an 300 Standorten nachgewiesen. Die neuen Ergebnisse zeigen, dass Belgien die höchste Schadstoffbelastung aufweist. Auf der interaktiven Europa-Karte lassen sich auch Ort in Österreich ansteuern.

„Diese Art von Konzentrationen machen mir Sorgen“, sagte Crispin Halsall, Umweltchemiker an der Lancaster University in Großbritannien: „Sie laufen Gefahr, dass Vieh Zugang zu diesen Gewässern erhält und [dann ist PFAS] im menschlichen Nahrungsnetz.“ Weiters meinte der Experte, dass es auch Risiken gibt, wenn Menschen „auf Wildtiere als Nahrungsquellen wie Fischen und Wildgeflügel zugreifen“.

Auch in Österreich längst nachgewiesen

Für Österreich hält die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit AGES fest: Insgesamt wurden bis 2021 47 Lebensmittelproben untersucht. Am häufigsten wurde Perfluorhexansäure gefunden und zwar in 22 Lebensmittelproben, gefolgt von PFOA in 15 Proben und PFOS in 10 Proben.

Internationale Experten gehen davon aus, dass es sich bei trotz der großen Anzahl der aufgespürten Ewigkeitschemikalien nur um die Spitze des Eisbergs handelt. Die Umweltbehörden hatten der aktuellen Studie zufolge zugegeben, dass PFOS in der Umwelt allgegenwärtig ist. So rechnet die Europäische Chemikalienagentur ECHA damit, dass in den nächsten 30 Jahren etwa 4,4 Millionen Tonnen PFAS in die Umwelt gelangen werden, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden.

Teilweise bereits verboten

Mancherorts wurden bereits Maßnahmen ergriffen. So sind einige PFAS sindbereits weitgehend verboten, weil sie als gefährlich gelten. „Von den relativ wenigen gut untersuchten PFAS gelten die meisten als mittel- bis hochtoxisch, vor allem für die Entwicklung von Kindern“, schreibt die Europäische Umweltagentur (EEA).

Behörden mehrerer Länder der EU streben aber ein weitgehend vollständiges Verbot der Stoffgruppe innerhalb Europas an. Es handle sich dabei um eine Art Vorsichtsmaßnahme. Der Gedanke: Sollte einige der Substanzen nachweislich schädlich sein, dann könnte das auch auf viele andere Vertreter der Stoffgruppe zutreffen.

Aus Sicht des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) ginge ein Komplettverbot zu weit, da dann auch viele Anwendungen untersagt wären, von denen gar keine Gefahr ausgehe. „Die Auswirkungen der Beschränkung für viele Industriezweige wären erheblich“, warnte Mirjam Merz, Expertin für Chemikalienpolitik und Gefahrstoffrecht beim BDI, gegenüber der dpa.

Entschluss erst in einigen Jahren

Die Diskussion um die Ewigkeitschemikalien hält jedenfalls an. Erfüllt der Behörden-Antrag alle Formalitäten, sollen am 22. März 2023 öffentliche Konsultationen starten. Dabei können sich beispielsweise Industrievertreter für Ausnahmen stark machen. Die Entscheidung trifft am Ende die Europäische Kommission gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten. Mit einem Entschluss wird 2025 gerechnet.

 

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