Bier und Schimmelkäse: Was vor 2.700 Jahren am Speiseplan stand
Forscher des Naturhistorischen Museum Wien fanden heraus, wie man sich vor Tausenden von Jahren ernährt hat.
Hochverarbeitete fermentierte Lebensmittel wie Bier oder Käse nehmen wir vor allem als ein Kennzeichen der Moderne wahr. Man weiß zwar aus historischen Schriften, dass beispielsweise im alten Ägypten Milch fermentiert wurde.
Doch den weltweit ältesten Nachweis für den tatsächlichen Konsum von Blauschimmelkäse lieferte nun ein Forscherteam des Naturhistorischen Museums in Wien, das außergewöhnlich gut erhaltene prähistorische und historische Exkremente von der Bronze- bis zur Barockzeit aus dem Salzbergwerk Hallstatt untersuchte.
Auch Hinweise auf eine mögliche Bierkultur liegen vor. Besonders fruchtbar erwies sich die Kombination aus archäologischen und molekularbiologischen Methoden, die die überraschenden Einblicke in urgeschichtliche Ernährungsgewohnheiten und Lebensmittelproduktion möglich machte. Die Studienergebnisse wurden heute am 13. Oktober im Fachmagazin Current Biology veröffentlicht.
Erkenntnis durch Exkremente
Das prähistorische Salzbergwerk von Hallstatt ist die älteste noch im Betrieb befindliche Salzmine der Welt, und durch die hohe Salzkonzentration in den Stollen und die konstante Temperatur von 8°C haben sich jahrtausendealte Überreste – auch organische Objekte wie Textilien, Werkzeug, Essenreste – außergewöhnlich gut erhalten.
Auch menschliche Exkremente – „was die archäologische Stätte zu einer einzigartigen Schatzgrube für die Forschung macht,“ so Kerstin Kowarik, assoziierte Wissenschaftlerin am Naturhistorischen Museum Wien. „Die Exemplare, die wir untersucht haben, sind nahezu perfekt konserviert – sie enthalten noch menschliche DNA, zudem DNA von Darmbakterien, sowie auch noch Proteine und Teile der gegessenen Nahrung“, erklärt der Mikrobiologe Frank Maixner vom Bozner Forschungszentrum Eurac Research.
In einer Probe aus der Eisenzeit entdeckte das Forscherteam zu seiner Überraschung größere Mengen zweier Pilzarten, Penicillium roqueforti und Saccharomyces cerevisiae, die für die Veredelung und Fermentierung von Lebensmitteln – in diesem Fall Blauschimmelkäse und Bier – verwendet werden.
Verarbeitete Lebensmittel schon in Eisenzeit
„Besonders spannend ist, dass wir aufgrund unserer Analysen klare Hinweise darauf haben, dass diese spezifischen Hefepilzvarianten nicht nur aus Zufall verwendet, sondern gezielt für die Bierherstellung gezüchtet und eingesetzt worden waren“, erzählt Maixner. Auch der Verzehr eines Gerichts, das im Wesentlichen aus Rinderblut bestand, möglicherweise eisenzeitliche Blutwurst, konnten nachgewiesen werden.
Die Forschergruppe unter der Leitung von Eurac Research und dem Naturhistorischen Museum Wien liefert damit erstmals den Beweis auf molekularer Ebene, dass schon in der Eisenzeit komplex verarbeitete Nahrungsmittel eine größere Rolle spielten, als bislang angenommen wurde.
Viel fermentiert
„Es wird immer deutlicher, dass die prähistorischen kulinarischen Praktiken nicht nur hoch entwickelt waren, sondern dass auch komplex verarbeitete Lebensmittel sowie die Technik der Fermentation eine herausragende Rolle in unserer frühen Ernährungsgeschichte gespielt haben“, unterstreicht Kerstin Kowarik.
Und Hans Reschreiter, Grabungs- und Forschungsleiter für das Hallstätter Bergwerk am Naturhistorischen Museum Wien, ergänzt: „Die besonderen Erhaltungsbedingungen im Hallstätter Salzberg erlaubten schon bislang besondere Einblicke in die Lebens- und Arbeitswelten der prähistorischen Bergleute, aber nun erreichen wir mit molekularen Analyseverfahren eine neue Ebene der Erkenntnis.“
Kohlenhydratreich
Aus den Exkrementen konnte das Team durch mikroskopische und molekulare Untersuchungen nicht nur die Ernährung der Bergleute über 3.000 Jahre hinweg rekonstruieren – stark faserhaltig und kohlenhydratreich, ergänzt durch Proteine aus Bohnen und gelegentlich durch Früchte, Nüsse oder tierische Nahrung –, sondern auch erstaunlich genaue Aussagen über die Bakterienbesiedelung des Darms treffen, also über das Darmmikrobiom. Dabei habe gerade die jüngste der analysierten Proben sich als „ein Glücksgriff“ erwiesen, wie Maixner erklärt.
Denn obwohl die Untersuchung zeigte, dass der Barock-Bergmann Getreide schon in stärker verarbeiteter Form – feiner gemahlen – zu sich nahm, als dies in der Bronze- oder Eisenzeit üblich war, ähnelt sein Mikrobiom doch eher jenem von Ötzi (das Maixner und Kollegen schon in einer früheren Studie anhand des Darminhaltes analysierten) als dem eines Menschen unserer heutigen Industriegesellschaft.
Große Veränderung der Darmflora
„Wenn Menschen vor 300 Jahren noch ein Mikrobiom wie ihre Vorfahren vor tausenden Jahren in sich trugen, würde das bedeuten, dass es hier in relativ kurzer Zeit zu großen Veränderungen kam“, so Maixner.
Die Verarmung des Mikrobioms durch den Lebensstil westlicher Industriegesellschaften wird von der Wissenschaft heute als ein wichtiger Faktor in Zusammenhang mit zahlreichen Krankheiten erkannt, wobei viele Aspekte aber noch unverstanden sind. Wie Albert Zink, Leiter des Instituts für Mumienforschung von Eurac Research unterstreicht, sind die Untersuchungen in Hallstatt unter anderem auch deshalb „von sehr aktuellem Interesse“.
Die Analyseergebnisse des Forscherteams von Eurac Research und dem Naturhistorischen Museum Wien eröffnen neue Einblicke in die Ernährungsgewohnheiten unserer entfernten Vergangenheit. „Hoch verarbeitete Lebensmittel, Produktion und Verzehr von Spezialprodukten sowie Lebensmittelverfeinerung durch Fermentation waren Bestandteil der Ernährungsgewohnheiten vor fast 3.000 Jahren,“ fasst Kerstin Kowarik vom Naturhistorischen Museum Wien zusammen.
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