Als der Mensch zum Menschen wurde

Als der Mensch zum Menschen wurde
Lange galt: Der Mensch brauchte das Meer, um hochkomplexe Verhaltensweisen zu entwickeln. Ein neuer Fund in der Kalahari relativiert das.

Ein Felsvorsprung am Ga-Mohana-Hügel  am südlichen Rand der Kalahari-Wüste etwa 665 Kilometer von der Küste entfernt: Ein Forscher-Team wühlt sich durch den Sand des bis heute heiligen Ortes, vorsichtig, sorgfältig. Monate später werden die Wissenschafter verkünden, dass sie 42 großteils verbrannte Überreste von Straußeneierschalen entdeckt haben, die vermutlich einmal als Wasserbehälter dienten. Außerdem gruben sie 22 markant geformte, weiße Kristalle in der 105.000 Jahre alten Ablagerungsschicht aus.

Als der Mensch zum Menschen wurde

Blick auf die Grabung beim Felsvorsprung in der südafrikanischen Kalahari: Bereits vor mehr als 100.000 Jahren nutzten Menschen eine Halbhöhle am Ga-Mohana-Hügel für spirituelle Zwecke

 

Spektakulär? Berichtenswert? Allemal! Die Arbeit, an der auch der Innsbrucker Geologe Michael Meyer beteiligt ist, hat es ins hochrangige Wissenschaftsmagazin Nature geschafft. Belegen die Untersuchungen doch, dass die Kristalle  gezielt zusammengetragen wurden, obwohl sie keinen unmittelbaren Nutzen für die Menschen  hatten – sie dürften rituellen Zwecken gedient haben, an einem Platz, der bis heute von der ansässigen Bevölkerung als spiritueller Ort des Gebetes genutzt wird.

„Die Funde belegen, dass diese steinzeitlichen Binnenmenschen Verhaltensweisen und kognitive Fähigkeiten an den Tag legten, welche gleichwertig sind mit jenen, die man beim Homo sapiens zur gleichen Zeit in unmittelbarer Küstennähe antrifft“, erklärt Michael Meyer.

Als der Mensch zum Menschen wurde

Vielfach wird die Meinung vertreten, dass Verhaltensinnovationen in der frühen Menschheitsgeschichte mit der Küste und Meeresressourcen verbunden sind.

von Michael Meyer

Geologe

Womit wir beim springenden Punkt wären: Bisher fanden sich Belege dafür, dass der moderne Mensch kognitive Fähigkeiten entwickelte, die den unsrigen ähneln, fast ausschließlich an archäologischen Ausgrabungsstätten in Küstennähe. Das verleitete viele Forscher zu der Annahme, dass die Nähe zum Meer und den dort verfügbaren Nahrungsressourcen möglicherweise irgendwie dazu beigetragen hat, dass sich in der Gehirnentwicklung des Menschen etwas verändern konnte. Das in der Folge die Entwicklung der erstaunlichen kulturellen und sozialen Fähigkeiten und Fertigkeiten ermöglicht hat. Damit war die Voraussetzung für den modernen Menschen nach unserer heutigen Vorstellung geschaffen.

Alles anders

Seit sich das internationale Forscherteam um Jayne Wilkins von der Griffith University in Brisbane (Australien) aber weiter im Landesinneren auf die Spuren der frühen modernen Menschen im südlichen Afrika geheftet hat, ist alles anders. „Unsere Analysen von diesem bis heute für die einheimischen Menschen wichtigen Ort zeigen, dass modernes menschliches Verhalten schon früh auch im Landesinneren zu finden war – und um nichts jenem in Meeresnähe nachstand. In der Kalahari-Savanne herrschte zu jener Zeit ein feuchteres Klima mit Perioden vermehrter Niederschläge. Wir gehen daher davon aus, dass frühe moderne Menschen auch andere Regionen des afrikanischen Kontinents besiedelt haben“, sagt die Erstautorin der Studie.

Gefunden wurden auch zahlreiche Artefakte, die einen derartigen Entwicklungssprung belegen, wie etwa Muschelschalen, die nicht als Nahrung genutzt wurden, andere dekorative Artefakte oder Ockerfarben an einigen von Menschen zwischen 125.000 und 70.000 Jahren vor unserer Zeit frequentierten Orten mit Meerblick.

Als der Mensch zum Menschen wurde

Das in Sandkörnern gespeicherte Licht wird zur Altersdatierung herangezogen und ermöglichte neue Einblicke in die Menschheitsgeschichte. 

Womit wir beim Alter der Funde wären. Bei der „Optisch Stimulierten Lumineszenz (OSL)-Datierung“ nutzte Meyer, der  Leiter des Lumineszenz-Labors am Institut für Geologie der Uni Innsbruck, natürliche Lichtsignale, „die sich im Laufe der Zeit in Quarz- und Feldspatkörnern anreichern. Dabei kann man sich jedes Korn wie eine winzige Uhr vorstellen, die wir unter kontrollierten Laborbedingungen 'ablesen'“, erklärte er.

Die aufwendigen Analysen geben auch über die damaligen Umweltbedingungen Aufschlüsse. Demzufolge war die Umgebung der Fundstätte damals deutlich feuchter als heute. Ach ja, „damals" war vor etwa 105.000 Jahren, wie Forscher Luke Gliganic datieren konnte - jener Zeit, als der moderne Mensch das Landesinnere eroberte.

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