„Unmittelbarerer Auslöser war das Ausländervolksbegehren der FPÖ Österreich zuerst, das eine breite Protestwelle in Gang gesetzt hat. Und zwar aus der Bevölkerung heraus“, erzählt Monika Sommer, die Direktorin des Haus der Geschichte Österreich (hdgoe), wo sich derzeit eine Webausstellung der größten Demonstration widmet.
„Was damals neu war: Es handelte sich um eine lager- und ideologiefreie Initiative“, ergänzt der Kurator der Schau, Historiker Stefan Benedik. „Aus heutiger Perspektive scheint es ganz normal, dass es derartige Allianzen geben kann. Damals wurden die alten Lagergrenzen, die bis in die späten 1980er-Jahre hinein unüberwindbar schienen, erstmals aufgebrochen, was die politische Kultur nachhaltig geprägt hat.“
Nur aus der Zeit heraus erklärbar
Wobei Historiker heute meinen, dass das Lichtermeer natürlich nur aus dem Kontext der Zeit erklärbar sei – 1993 befinden wir uns im Vorfeld des EU-Betritts. „Österreich musste zeigen, dass es den europäischen Standards gerecht wird“, sagt Historikerin Heidemarie Uhl. Sommer wiederum spricht vom „verknöcherten Klima in den beginnenden 1990ern. Da dachte man, Nationalsozialismus und Antisemitismus beginnen, wieder salonfähig zu werden.“ Und Benedik erinnert an die Waldheim-Debatte 1986 sowie die Vranitzky-Rede 1991, als der damalige Bundeskanzler die „Opferthese“ relativierte und Österreichs Mitschuld an den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges eingestand.
All das machte den Cocktail aus, der die Zivilgesellschaft auf die Barrikaden trieb. Und so kamen in diesen Wintertagen Menschen in diversen Wohnzimmern des Landes zusammen, um zu beratschlagen, was jetzt zu tun sei. „Eines der Wohnzimmer war das von Friedrun und Peter Huemer, die gemeinsam mit anderen Intellektuellen und Künstlern ein Zeichen gegen die Politik der FPÖ setzen wollten“, erzählt Sommer.
Uhl ergänzt: „Das Lichtermeer war ein wichtiger historischer Moment, der gezeigt hat, dass es möglich ist, mit einer Botschaft gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, eine unheimlich breite Resonanz zu erzielen.“ Wobei sie zugesteht: „Die Rahmenbedingungen waren damals andere. Fremdenfeindlichkeit war in Europa noch nicht in dieser Form vorhanden. Erst jetzt entdeckte die FPÖ Ausländerfeindlichkeit als ihren Markenkern, mit dem sich populistisch Stimmengewinne erzielen lassen.“ Bald wurde das in ganz Europa zum Dreh- und Angelpunkt, mit dem man politisches Kleingeld machen konnte. „Da hatte die FPÖ eine Pionierrolle“.
Wobei natürlich auch die weltpolitische Lage eine große Rolle gespielt habe: In Österreich herrschte damals infolge des EU-Beitritts Aufbruchstimmung.
Das erklärt vielleicht auch, warum jenes Denken, gegen das sich die Zivilgesellschaft damals so vehement gewehrt hat, mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Und ein Lichtermeer wohl nicht mehr möglich wäre. „Aber“, so Uhl, „Gesellschaften verändern sich auch wieder.“
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