Windkanal-Test: Wie gut Lilienthals Gleiter flog

Im Otto Lilienthal Museum in Anklam erfährt man alles über den Flugpionier
Vor 125 Jahren begann der Mensch zu fliegen. Eigentlich war es ein einziger Mensch: Otto Lilienthal. Jetzt haben Aerodynamiker seinen Gleiter nachgebaut, dem sie im Windkanal die Geheimnisse entlocken wollen.

Windböen bis zu 200 km/h. Die Schaufensterpuppe, die an einem Gleiter hängt, wird durchgebeutelt. Wir befinden uns in einem niederländischen Windkanal. Und der Gleiter ist nicht irgendein Gleiter: Es ist eine 1:1-Kopie des Normalsegelapparates, mit dem Otto Lilienthal vor 125 Jahren als erster Mensch die Lüfte eroberte.

Andreas Dillmann hat ihn mit seinem Team nachgebaut. Dafür hat der Leiter des Instituts für Aerodynamik und Strömungstechnik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)großen Aufwand betrieben. So hat er eine Stoffprobe aus einem Moskauer Museum organisiert. Das Stückerl englischer Hemdenstoff namens Schirting gehörte zur Original-Bespannung des Seglers. Blöd nur, dass es den Stoff, aus dem früher leichte Sommerhemden hergestellt wurden, heute so nicht mehr gibt. "Also haben wir die Stoffprobe vom Archäometrischen Institut Mannheim analysieren lassen. Dann wurde er von einer Weberei in Nordhessen nachgewebt." 6000 Euro hat die wissenschaftlich korrekte Bespannung gekostet.

Offene Fragen

Mittlerweile ist die Kopie aus Holz und Stoff fertig und wurde eben im Labor getestet. "Es gibt noch viele offene Fragen rund um Lilienthals Flugzeug", sagt Dillmann. Lag es – wie heutige Flugzeuge – stabil in der Luft? "Das Flugzeug der Gebrüder Wright torkelte 1903 instabil durch die Luft, es flog in Wellenbewegungen. "Die Frage ist: Wusste Lilienthal das schon besser und war sein Gleiter eigenstabil?", sinniert Dillmann, der selbst Maschinenbauer, Hobbypilot und Lilienthal-Fan ist. War es so gut wie ein moderner Fluggleiter? Und wenn ja: Warum stürzte Lilienthal trotzdem ab? "Wir wollen durch die Analyse des Gleiters herausfinden, was Lilienthal bereits über die Konstruktion von Flugzeugen gewusste hat."

Der preußische Ingenieur war, wenn es um Aerodynamik ging, ein akribischer Forscher. Zwanzig Jahre befasste er sich neben dem Aufbau seiner Maschinenfabrik mit Luftwiderstand, Auftrieb und den besten Flügelformen. Die so gesammelten theoretischen Erkenntnisse fasste er 1890 in seinem Buch "Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst" zusammen.

Auf dieser Grundlage startete er seine Flugversuche. "Lilienthal war der erste wissenschaftlich arbeitende Aerodynamiker. Vorher gab es eigentlich nur Bastler", sagt Dillmann. "Er baute erst Drachen, dann Modellflugzeuge, die immer größer wurden. Bis seine Tragflächen so mächtig waren, dass sie einen Menschen tragen konnten." Schließlich baute er sich im Garten seines Hauses eine Rampe. "Da nahm er Anlauf und machte Sprungversuche. So erarbeitete er sich die Sprung-Mechanik – bis er soweit war, den Sprung von einem Hügel wagen zu können."

18 Gleiter

Von 1889 bis zu seinem Tod 1896 konstruierte Lilienthal 18 Gleiter, die er ab 1894 auf dem von ihm eigens errichteten 15 Meter hohen Fliegeberg in Berlin-Lichterfelde testete. "Das ging mehr als 2000-mal gut", sagt Dillmann.

Windkanal-Test: Wie gut Lilienthals Gleiter flog
Lilienthal
Eine theoretische Abhandlung über die Flugeigenschaften seiner Gleiter blieb er aber der Nachwelt schuldig. Mit dem Windkanal-Experiment wollen die Forscher die Daten nun nachliefern. Dabei ersetzte eine Schaufensterpuppe den Piloten während der Tests. "So erfasst man die gesamte Mechanik des Gleiters". "Das Fliegen mit dem ‚Gleiter war ein bisschen wie Barrenturnen – Lilienthal habe gesteuert, indem er die Beine nach vorne oder zurück geworfen hat", sagt Dillmann.

Wie weit Lilienthal fliegen konnte, ist ebenfalls ein Rätsel. "Es gibt Berichte, wonach er mit 18 Metern Absprunghöhe 350 Meter weit gesegelt ist. Das würde bedeuten, dass sein Gleiter besser war als alle modernen Hängegleiter." Der Aerodynamiker mag das kaum glauben. "Realistischere Augenzeugenberichte sprechen von 250 Metern bei 15 Meter Absprunghöhe. Aber: Im Windkanal können wir auch das überprüfen. "

So oder so: "Es ist kein ungefährliches Gerät. Heute würde es wohl keine Zulassung als Hängegleiter bekommen. Und Otto Lilienthal ist damit ja auch verunglückt."

Trotzdem: "Seine fliegerische Leistung war toll, aber auch seine wissenschaftliche. Er legte die Fundamente der Aerodynamik, auf die wir bis heute aufbauen."

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