Wiener Forscher züchten "Mini-Hirne"

Archivbild zeigt den Dresdner Figurenbauer Peter Ardelt, der in seiner Werkstatt ein zwölffach vergrößertes, anatomisch detailgetreues Gehirn komplettiert, das anlässlich eines neurowissenschaftlichen Kongresses Ende Juni 1998 erstmals im Deutschen Hygiene-Museum der Elbestadt präsentiert wurde (Archivbild). dpa (zu dpa-Themenpaket: "Wir sind nicht Herr unseres Hirns: Der freie Wille ist eine Illusion" am 29.05.2000)
Weltweites Interesse an "Organoiden" aus Stammzellen.

Es sind unscheinbare, fast kugelförmige kleine weiße Gebilde mit einem Durchmesser von drei bis vier Millimeter, „fast wie ein Reiskorn“, wie Jürgen Knoblich sagt. Er ist Gruppenleiter und stellvertretender Direktor am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der österreichischen Akademie der Wissenschaften (Leitung: Josef Penninger). Doch diese kleinen Gebilde sind im Labor von seinem Team aus Stammzellen geschaffene „Mini-Hirne“. Von ihrer Entwicklung her entsprechen sie dem Gehirn eines Embryos in der 9. bis 10. Schwangerschaftswoche. „Wir wollen mit diesen Gehirnmodellen die Entstehung von Krankheiten in der Frühphase der menschlichen Entwicklung erforschen“, so Knoblich. „Es ist aber nicht möglich, ein Hirn zu züchten. Das ist auch nicht unser Ziel.“

Wiener Forscher züchten "Mini-Hirne"
IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie : Madeline Lancaster: Copyright IMBA Pressefoto - honorarfrei
Über ihren Forschungserfolg berichten die Forscher in der neuesten Ausgabe des Fachjournals Nature – Erstautorin ist Madeline Lancaster. Wegen des weltweiten Medieninteresses organisierte Nature sogar eine internationale Telefonpressekonferenz mit den Experten aus Wien.

Zwei Tricks

Für die Herstellung der „mini brains“ verwendeten die Forscher embryonale Stammzellen und Stammzellen, die aus der Rückentwicklung menschlicher Hautzellen gewonnen werden. Mit zwei „Tricks“ (Knoblich) gelang es, die Zellen so zu kultivieren, dass sich frühe Entwicklungsstadien des Großhirns – aber auch anderer Gehirnstrukturen – nachbildeten. Die Zellen organisierten sich exakt so wie in einem embryonalen Gehirn. Die Forscher sprechen von Organoiden, im Labor gezüchtete Gewebe-Elementen.

„Und die einzelnen Hirnareale kommunizieren auch miteinander – das konnten wir weltweit erstmals zeigen“, sagt Knoblich: „Neuronen sind aktiv und feuern elektrische Signale. Eine bestimmte Form von Neuronen wandert von anderen Regionen in die Großhirnrinde ein. Es gibt einen Austausch.“ Außerdem konnten die Forscher bestimmte Stammzellen nachweisen, die typisch für ein menschliches Gehirn sind – und im Maushirn nicht vorkommen.

„Die Forschung der vergangenen Jahren hat gezeigt, dass sich die Entwicklung des menschlichen Hirns fundamental von jener des Maushirns unterscheidet“, so Knoblich: „Das ist einerseits eine gute Nachricht – weil das eine Erklärung dafür ist, warum unser Gehirn so viel größer als jenes einer Maus ist. Aber es ist auch ein Problem, weil aus diesem Grund die Maus eben nicht immer ein gutes Modell für die Entwicklung und den Vergleich mit dem menschlichen Hirn ist.“

Verselbstständigen können sich die Hirnmodelle nicht: „Sie müssen sich das wie ein Auto vorstellen, das betrunkene Arbeiter zusammenmontiert haben: Der Motor ist auf dem Dach, das Getriebe auf dem Rücksitz. Dieses Auto wird nie fahren, aber trotzdem kann ich die Funktion des Motors studieren. So ist es auch bei unseren Modellen.“ Der deutsche Stammzellforscher Oliver Brüstle in einem Kommentar: „Trotz der überzeugenden Daten bleibt ein ,Gehirn im Glas‘ außer Reichweite.“

KURIER: Haben Ihre Mini-Hirne Empfindungen wie Schmerz?
Jürgen Knoblich:
Nein. Unsere Gehirnmodelle sind von ihrer Entwicklung her lange vor dem Stadium, in dem sich neuronale Netze bilden und derartige Informationen verarbeitet werden. Ich wurde auch schon gefragt, wie das ist, wenn wir eine solche Organkultur nicht mehr benötigen, schließlich sei der Entwicklungsstand von neun Wochen schon nahe an der 12-Wochen-Grenze für Abtreibungen.

Ihre Antwort?
Bei der Diskussion um Abtreibung geht es darum, dass die Entstehung einer menschlichen Persönlichkeit unterbrochen und ihr das Recht zu leben genommen wird. Aber unsere Organoide können sich nicht weiterentwickeln, weil nicht alle Gehirnareale vorhanden sind. Und es fehlt auch die Blutversorgung. Sollte also jemand auf die Idee kommen, ein menschliches Hirn ,nachbauen‘ zu wollen, ist er mit unserer Methode schlecht beraten. Das wird vielleicht bei anderen Organen möglich sein, aber nicht beim Gehirn. Und auch bezüglich der Erzeugung von Ersatz-Gewebe für kranke Hirnareale bin ich ein wenig pessimistisch – aber wir wissen nicht, was die Zukunft bringt.

Wiener Forscher züchten "Mini-Hirne"

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