Im Reich der Mikroben

Im Reich der Mikroben
Das körpereigene Mikrobiom ist komplex. Seine Erforschung ist eine Chance für die Präzisionsmedizin.

Es ist ein unsichtbares und höchst individuelles Ökosystem unseres Körpers: das Mikrobiom. Dieses ist die Gesamtheit aller Mikroorganismen, wie Bakterien, Pilze, Viren, die auf und in unserem Körper leben – hauptsächlich im Darm, aber auch auf der Haut, im Mund, in der Lunge usw. Im und am menschlichen Körper existieren mehr mikrobielle als menschliche Zellen. „Vor rund 20 Jahren begannen Mikrobiolog*innen, die Mikroben, die in, auf und überall um uns herum leben, mit neuen Technologien zu analysieren – und waren überrascht von der riesigen Zahl und Diversität der Organismen, die sie fanden“, erklärt Univ.-Prof. David Berry, der an der Universität Wien am Department für Mikrobiologie und Ökosystemwissenschaft vor allem am Mikrobiom der Darmflora forscht.

Diversität

„Verschiedenste Mikroben haben unterschiedliche Funktionen in unserem Körper. Beispielsweise gibt es Bakterien, die entzündungshemmend wirken, andere helfen bei der Verdauung“, sagt Berry. Wiederum andere Mikroben trainieren das Immunsystem, manche beeinflussen die Produktion von Neurotransmittern wie Serotonin, weitere wie wir Energie aufnehmen und speichern. Ein gestörtes Mikrobiom steht im Verdacht, viele Erkrankungen zu fördern. „Eines der wichtigsten Dinge bei einem gesunden Mikrobiom ist seine Diversität. Bei Krankheiten bemerken wir immer einen Rückgang der Diversität des Mikrobioms“, erklärt Berry.

Verhalten beeinflussen

Berry erforscht mit seinem Team unterschiedlichste Ansätze zum Mikrobiom – ein Beispiel zu extremen Frühgeburten: „Die Zusammensetzung des Mikrobioms eines Babys einen Monat nach der Frühgeburt lässt bereits Schlüsse auf seine kognitiven und sozialen Fähigkeiten zwei Jahre später zu.“ Auch bei Erwachsenen ließe sich bei neurodegenerativen Erkrankungen und sogar bei Depressionen eine Veränderung des Mikrobioms beobachten. In tierischen Modellen konnte dieser Zusammenhang noch klarer studiert werden: Es gibt Mäuselinien, die sich durch ihr scheues Verhalten auszeichnen und solche, die sehr neugierig sind. Wenn man deren Darmmikrobiom austausche, wären die scheuen Mäuse neugierig und die neugierigen scheu, schildert Berry sein „Lieblingsexperiment“: „Der mikrobielle Phänotyp hat also einen Einfluss auf das Verhalten“, ist Berry fasziniert. In der Mikrobiomforschung nennt man diesen Zusammenhang die „Darmmikrobiom-Gehirn-Achse“, und die Erforschung der dahinterstehenden Mechanismen ist aktuell ein heißes Thema in diesem Feld. Als wahrscheinlichen Kandidaten für einen Mittler handeln Mikrobiolog*innen wie Berry das Immunsystem.

Im Reich der Mikroben

Univ.-Prof. David Berry, Uni Wien

Bei Krankheiten bemerken wir immer einen Rückgang der Diversität des Mikrobioms“

von Univ.-Prof. David Berry, Uni Wien

Hilfreich oder schädlich

Die Erforschung des Mikrobioms sei aber vor allem eine Chance für individualisierte Medizin. Berry: „Wenn wir die Interaktionen zwischen Körper und Mikrobiom besser verstehen, könnten wir mit einem Blick auf das genetische Profil eine*r Patient*in sagen, welche Mikroben in einer bestimmten Situation hilfreich oder schädlich sind.“ Behandlungspläne könnten so individualisiert werden.

Kommentare