Neue Wege zur Regeneration von Gewebe und Gefäßen

Jeder kennt es aus eigener Erfahrung: Wenn wir uns schneiden, verheilt die Wunde meist von selbst. Allerdings lässt diese Regenerationsfähigkeit mit dem Alter nach. Verletzungen heilen langsamer, chronische Erkrankungen wie Osteoporose oder Osteoarthritis nehmen zu. Aber warum ist das so, und gibt es Wege, diesen Prozess zu beeinflussen?
Genau hier setzt die extrazelluläre Biotechnologie an. Forschende unter der Leitung von Assoz. Prof. Johannes Grillari untersuchen am Ludwig-Boltzmann-Institut für Traumatologie in Wien, dem Forschungszentrum in Kooperation mit AUVA, wie sich biologische Prozesse außerhalb der Zellen auf die Geweberegeneration auswirken und welche neuen Therapieansätze daraus entstehen könnten.
Der Alterungsprozess
Ein Schlüsselfaktor der Alterung ist die sogenannte zelluläre Seneszenz. Mit steigendem Alter sammeln sich immer mehr dieser „gealterten“ Zellen im Körper an. Sie teilen sich nicht mehr, vielmehr sondern sie entzündungsfördernde Stoffe ab. Studien zeigen, dass das gezielte Entfernen dieser seneszenten Zellen einen Krankheitsverlauf verlangsamen oder sogar umkehren kann. Eine vielversprechende Strategie ist die Erforschung sogenannter senolytischer Substanzen – Wirkstoffe, die gezielt gealterte Zellen eliminieren. „Erste klinische Studien zu senolytischen Therapien laufen bereits, insbesondere für altersbedingte Erkrankungen wie Lungenfibrosen, Osteoporose oder Alzheimer“, erklärt Prof. Grillari.
Die bisherigen Ergebnisse aus Tiermodellen sind durchaus positiv. Durch das Entfernen seneszenter Zellen konnten Alterungsprozesse tatsächlich verlangsamt werden. Ein spannender Ansatz dazu wird aktuell in Kooperation zwischen der BOKU University und der Medizinischen Universität Wien entwickelt – eine senolytische Substanz, die viel Hoffnung macht. „Sollte sie sich in klinischen Tests bewähren, könnten erste zugelassene Anwendungen innerhalb der nächsten Jahre verfügbar sein“, so Grillari.
Neue Therapieplattform
Extrazelluläre Vesikel (EVs) sind winzige Bläschen, die von Zellen freigesetzt werden und eine entscheidende Rolle in der Zellkommunikation spielen. Sie transportieren Proteine, RNA und andere Moleküle von einer Zelle zur anderen und beeinflussen so biologische Prozesse wie Geweberegeneration und Immunreaktionen.
Inzwischen weiß man, dass der therapeutische Effekt mesenchymaler Stammzelltherapien (MSC-Therapien) weniger von den Stammzellen selbst ausgeht als von den extrazellulären Vesikeln, die sie absondern. Diese enthalten Signalstoffe, die Heilungsprozesse anregen. „Anstelle von lebenden Zellen könnten in Zukunft EV-basierte Therapien genutzt werden – ein Vorteil, da sie weniger immunologische Risiken bergen und standardisiert produziert werden können“, so der renommierte Wissenschafter. Erste klinische Studien zeigen vielversprechende Ergebnisse.

Assoz. Prof. Johannes Grillari vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Traumatologie in Wien, dem Forschungszentrum in Kooperation mit AUVA
Gefäße als Schlüssel
Auch die Gefäße unseres Körpers spielen eine entscheidende Rolle bei der Wundheilung und Geweberegeneration. Sie versorgen verletzte Areale mit Sauerstoff und Nährstoffen. Auch hier wird geforscht, wie man diese Neubildung gezielt steuern kann. Besonders interessant ist dabei der Einsatz von mesenchymalen Stammzellen und Endothelzellen, um das Wachstum neuer Blut- und Lymphgefäße zu stimulieren. Zudem wird erforscht, wie extrazelluläre Vesikel die Kommunikation zwischen Gefäßzellen beeinflussen. Die Hoffnung: Mit biotechnologischen Methoden könnte es künftig gelingen, künstliche Gefäße zu erzeugen oder bestehende Gefäße gezielt zu regenerieren.
"Die extrazelluläre Biotechnologie steckt noch in den Kinderschuhen, doch sie könnte langfristig dazu beitragen, Alterungsprozesse zu verlangsamen und Heilungsprozesse effektiver zu gestalten.“
- von Prof. Johannes Grillari
Blick in die Zukunft
Neben der Zellbiologie spielt auch die Präzisionsmedizin eine zentrale Rolle in der modernen Biotechnologie. Sie basiert darauf, Behandlungen individuell auf die genetischen, molekularen und umweltbedingten Besonderheiten eines Patienten zuzuschneiden. Dies könnte insbesondere bei altersbedingten Erkrankungen wie Alzheimer, Osteoporose oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine wichtige Rolle spielen. Standardisierte Therapien werden den individuellen Bedürfnissen oft nicht gerecht.
Moderne molekularbiologische Diagnostik hilft dabei, gezielte Therapien zu entwickeln, indem sie präzise Informationen über die genetischen und biologischen Marker eines Patienten liefert. So könnten EVs oder senolytische Therapien in Zukunft maßgeschneidert auf bestimmte Patientenprofile abgestimmt werden. „Die extrazelluläre Biotechnologie steckt noch in den Kinderschuhen, doch sie könnte langfristig dazu beitragen, Alterungsprozesse zu verlangsamen und Heilungsprozesse effektiver zu gestalten“, ist Prof. Grillari überzeugt.

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