Wie unser Gesicht uns verrät, wenn wir lügen
Als Carlo Collodi 1883 sein Buch „Die Abenteuer des Pinocchio“ veröffentlichte, ahnte er nicht, dass seine Fantasiefigur Wissenschaftler beschäftigen würde. Für den Autor war die bei jeder Lüge wachsende Nase nur eine Parabel: Er wollte vermitteln, das Unrechtes erkannt und bestraft wird.
Und doch gab Collodi so den Ausschlag, dass sich viele kluge Köpfe damit beschäftigten, ob Lügen sich auch physisch bemerkbar machen. Und eines gleich vorweg: Ja, die Nase wächst, wenn man nicht die Wahrheit sagt. Die Psychiater Alan Hirsch und Charles Wolf von der „Smell and Taste Foundation“ in Chicago bewiesen das wissenschaftlich. Beim Lügen werden im Körper Hormone freigesetzt, die den Blutfluss in der Nase verstärken. Dadurch schwillt diese an – und wird für kurze Zeit um einen winzigen Bruchteil eines Millimeters länger.
Das ist zu wenig, um Flunkern an der Nase aufzudecken. An der Mimik aber geht es. Doch auch da muss man sich gut auskennen, um es zu erkennen. Paul Ekman kann es. Der US-amerikanische Psychologieprofessor gilt als der weltbeste Experte für nonverbale Kommunikation. „Es sind nur 43 Muskeln, mit denen wir mehr als 10.000 Gesichtsausdrücke erzeugen können, und ich habe alle gesehen“, sagte er in einem Interview. Im Zusammenhang mit Lügen sind die sogenannten Mikroausdrücke interessant, flüchtige, unbewusste Gesichtsausdrücke, die einen verraten, auch wenn man sich beherrscht. Sie sind weltweit ident.
„Gesten sind kulturspezifisch, die Ausdrucksformen für ein Gefühl im Gesicht sind universell“, so Ekman. „Kulturelle Unterschiede gibt es dabei nur hinsichtlich dessen, inwieweit wir lernen, unseren Gesichtsausdruck zu kontrollieren.“ Allerdings blitzen Mikroausdrücke nur etwa ein Fünfundzwanzigstel einer Sekunde auf. Sie zu erkennen benötigt also nicht nur das Wissen über sie, sondern auch ein schnelles Auge.
Einer der ersten Wissenschaftler, der sich mit Gefühlen und Mimik beschäftigte, war Charles Darwin. Er ging davon aus, dass alle Menschen eine bestimmte Palette an Emotionen zur Verfügung steht, die genetisch fixiert ist. Daher, so Darwins Mutmaßung, bewegen alle Ethnien dieselben Gefühle. Wie diese sich allerdings in Gesten oder Mimik niederschlagen, darüber konnte der Naturforscher nicht viel herausfinden. In seinen Augen waren die Reaktionen nicht bei allen Menschen gleich stark ausgeprägt. Erst Paul Ekman konnte in den 1960er-Jahren sieben Basisemotionen herausfiltern, deren Gesichtsausdrücke überall auf der Welt gleich aussehen. Bei Wut, Ekel, Verachtung, Freude, Trauer, Angst und Überraschung schlagen sich in der selben Mimik nieder - ob bei einem Europäer, eine Japaner oder einem Inuit. Ausgehend von dieser Erkenntnis konnte Paul Ekman schließlich eine Liste von Mikroausdrücken erstellt, durch die Lügner ertappt werden können - wenn man denn darauf geschult ist, winzigste Regungen im Gesicht zu erkennen.
Auch Pamela Meyer hat physische Auswirkungen beim Lügen untersucht. Laut der Betrugsexpertin und Verhaltensanalystin sind es neben Mikroausdrücken körpersprachliche Signale, die verraten, ob jemand die Wahrheit sagt oder nicht: Schulterzucken etwa oder „Nein“-Sagen, während man nickt. Auch das häufige Verwenden von Füllwörtern wie „Äääh“ ist ein Indiz. Lügner versuchen so, Zeit zu gewinnen. Wer den Augenkontakt im Gespräch nicht halten kann oder auffällig oft blinzelt, sagt laut Meyer auch nicht die Wahrheit. Verdammen will die Expertin das Lügen aber keinesfalls: „Die erste Wahrheit über das Lügen: Nicht alle Lügen sind schädlich. Manchmal nehmen wir allzu gern an einer Täuschung teil – der gesellschaftlichen Würde willen“, betont sie in ihren Vorträgen stets.
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