Mikroplastik: Mülleimer Meer

Die Weltmeere sind voll Plastik. Folgen für Tiere sind sichtbar, jene für Menschen noch nicht.

Gunnar Gerdts ist dem Plastik seit Jahren auf der Spur. Einmal im Jahr sind er und seine Kollegen auf hoher See. Im Schlepptau haben sie einen Katamaran, der ein feinmaschiges Netz mitzieht. Was darin hängen bleibt, landet unter Gerdts Mikroskop. Winzige Plastikteilchen aus Polypropylen, Polyethylen oder einer Mischung mehrerer Kunststoffe, manche kleiner als Sandkörner, fürs Auge kaum sichtbar. Das meiste davon stammt nicht von Partikeln aus Kosmetika, Zahnpasta oder Reifenabrieb (primäres Mikroplastik), sondern von großen Kunststoffteilen, Plastikflaschen oder Folien. "Durch Wellen und Wind wird es bröckelig, zerfällt und im Laufe der Jahre entsteht daraus sekundäres Mikroplastik", sagt Gerdts im KURIER-Gespräch. Zwischen 4,8 und 12,7 Millionen Tonnen Plastikabfall gelangen jährlich vom Land ins Meer.

Mikroplastik: Mülleimer Meer
Gunnar Gerdts honorarfrei
Wie gefährlich das ist, war Thema einer Diskussionsveranstaltung des "Forschungsverbund Umwelt" und dem Naturhistorischen Museum Wien, bei der Gerdts teilnahm. Die sichtbaren Folgen sieht der Mikrobiologe leider zu oft. In seinem Labor amAlfred Wegener Institut,Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, auf Helgoland. Wenn er dort Fische untersucht und in ihren Därmen diverse Plastiksorten findet. Oder an der Küste der Insel, wo Meeresvögel wie Basstölpel bunte Nester aus Kunststoffteilen bauen. Immer wieder verheddern sie sich und hängen stranguliert am Felsen, berichtet der Wissenschaftler.

"Wir wissen aber noch nicht genau, wie das Plastik auf Menschen einwirkt", sagt der Experte. Gleichzeitig ist er aber überzeugt, dass es dort eine Auswirkung haben kann, wo es dicht mit dem Organismus zusammenkommt. Demnächst untersuchen er und seine Kollegen, ob die Kunststoffe in den Därmen von Fischen auch ins Gewebe übergehen. Bisherige Versuche, bei denen Miesmuscheln mit winzigen Plastikpartikel kontaminiert werden, die Entzündungen auslösten, hält er nicht für aussagekräftig genug. Denn die Tiere stehen ohnehin unter Stress oder sind mit Schadstoffen besetzt – es ist schwer nachzuweisen, welchen Einfluss die Partikel alleine haben.

Abfall in der Arktis

Aussagekräftiger waren für ihn die neuesten Entdeckungen in der Arktis. Sie haben selbst den über 1,90 Meter großen Norddeutschen erschüttert. In einem Gebiet zwischen Grönland und Spitzbergen fanden sie im Eis über eine Million Partikel pro Kubikmeter. "Diese Konzentration haben wir selbst in Klärwerksabläufen niemals gefunden, dort liegt sie bei 1000 Partikel pro Kubikmeter." Die hohe Menge an Plastik entstand vermutlich durch Meeresströmungen, die einen Teil des weltweit anfallenden Mülls in die Arktis verfrachtet. Forscher berichten auch von einer weiteren Plastikinsel in der Barentssee. Dem Experten bereitet der an der Oberfläche schwimmende Müll Sorgen, vor allem aber die Partikel im Eis: "Durch Klimawandel und schmelzende Polkappen werden diese Stoffe frei und kommen retour zum Verursacher."

Mikroplastik: Mülleimer Meer
Porträt des AWI-Mikrobiologen und Müll-im-Meer-Experten Dr. Gunnar Gerdts Portrait of AWI microbiologist and marine litter expert Dr Gunnar Gerdts
Wie man den Müll aus dem Meer bekommt, beschäftigt nicht nur die Forscher. Ein holländischer Student entwarf 2014 eine Konstruktion, die Plastik auffangen soll. Der Forscher ist skeptisch. "Es kann funktionieren, aber was passiert bei Wellenschlag?" Er ist überzeugt: Je größer die Lösung, je mehr dreht man auch an Stellschrauben des Ökosystems rum. Ebenso wenig hält er von biologisch abbaubaren Kunststoffen, vieles davon verrottet langsamer als angenommen. Oder gar nicht. So wie Polymilchsäure: "Wenn sie ins marine Milieu kommt, ist es nichts anderes als Polyethylen." Kürzlich entdeckte Bakterien, die Plastik fressen, haben ebenfalls kein Potenzial. Sie fressen in erster Linie alles andere und widmen sich erst in der Not den PET-Flaschen. "Es ist schön und beeindruckend, dass wir so eine hohe Biodiversität haben und selbst künstlich eingebrachte Stoffe abgebaut werden, aber der Einsatz von Bakterien ist keine Lösung."

Am effektivsten sind bisher lokale Maßnahmen wie aktives Müllsammeln. "Der Konsument ist gefragt und muss sich als Teil des Problems begreifen. In den meisten Köpfen ist das schon angekommen." Lange war dies nicht der Fall. "Das ist eine Hypothek, die wir in den nächsten Jahren noch mitschleppen werden."

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