Wie die Gesellschaft frei, sicher und solidarisch bleiben kann

Christian Ortner und Ulrike Guérot, Helmut Brandstätter (re.) moderiert.
In wecher Zukunft wollen wir leben? Das ist das Thema der Reihe "ÜberMorgen". Jeder ist aufgerufen, mitzureden.

„Lassen Sie uns wagen, groß zu denken“, sagt der Historiker Philipp Blom zu den Diskutanten im Publikum und auf dem Podium. Denn die Umwälzungen, die uns bevorstehen, sind gigantisch: Der Klimawandel wird die Umwelt verändern; die Digitalisierung könnte dazu führen, dass es kaum noch Arbeit gibt.

Wie können wir in einer solchen veränderten Welt in Freiheit und Sicherheit leben? Über derartige Fragen nachzudenken und Zukunftsbilder zu entwickeln, ist Ziel der Reihe "überMorgen". Für Blom ist klar: „Risiko gehört für Wohlhabende zum Geschäft. Doch die weniger Privilegierten brauchen Sicherheit – Freiheit ohne Sicherheit ist für sie wertlos.“

Wie die Gesellschaft frei, sicher und solidarisch bleiben kann

Philipp Blom, Werner Kerschbaum und Georg Kapsch (2. bis 4. v. li.)

 

 

 

Die derzeitigen Veränderungen und Umbrüche verunsichere die Menschen. Eine Folge sei, dass immer weniger an das derzeitige Wirtschaftssystem glauben: Den Satz „Das regelt der Markt“ hört man heute kaum noch. Blom: „Wir müssen neue Formen finden, wie wir zusammenleben. Ohne Solidarität wird es nicht gehen.“

Dem stimmt der Präsident der Industriellenvereinigung Georg Kapsch zu. Er setzt aber weiter auf die Märkte: „Wo diese versagen – etwa bei Hedgefonds – müssen sie reguliert werden. Die staatliche Grundversorgung sollte ebenso nicht dem Markt überlassen werden.“

Ohne Wirtschaftswachstum

Doch kann ein System, in der der Wohlstand nicht zunimmt, unsere Freiheit ermöglichen? Das will Moderator und KURIER-Herausgeber Helmut Brandstätter wissen. Die Gesellschaft könnte auseinanderdriften, fürchtet Politikwissenschafterin Ulrike Guérot: „Den freien Markt darf es nur für Güter geben. Wo Menschen betroffen sind, etwa beim Wohnen oder in der Pflege, taugt er nichts“, ist sie überzeugt.

Deshalb müssten sich die Menschen den öffentlichen Raum und die Republik zurückerobern. „Das hat viel mit Gleichheit zu tun – sie ist neben der Freiheit und Solidarität eine Säule der französischen Revolution.“ Kapsch interpretiert Gleichheit dagegen als Chancengerechtigkeit.

 

Und wie schaut es mit der Freiheit in Zukunft aus? Brauchen wir Verbote, die die Freiheit einschränken, um das Klima zu retten? Für Werner Kerschbaum, Generalsekretär des Roten Kreuz, ist die Antwort klar: „Wir müssen die Freiheit zugunsten der Nachhaltigkeit einschränken.“ Ob da allerdings das Richtige reguliert wird, daran hat Georg Kapsch seine Zweifel: „Der derzeitige Emissionshandel schadet der europäischen Wirtschaft. Besser wäre es, Klimazölle auf Importe zu erheben, was zur Folge hätte, dass in den Produktionsländern – etwa in Asien– umgedacht und nachhaltig produziert werden würde.“

Philipp Blom stellt das Wirtschaftssystem prinzipiell infrage: „Wir brauchen ein qualitatives Wirtschaftswachstum.“ Was das in der Praxis heißt? „Sehr viel“, meint Guérot: „Bildung, Glück, Liebe können Sie sich nicht kaufen.“

Bildung und Ausbildung

Damit sich eine Gesellschaft so verändern kann, dass alle frei, sicher und solidarisch leben, braucht es gebildete Menschen. „Warum ist es so schwierig, das Bildungssystem zu ändern“, fragt Kapsch. „Meinen Sie Bildung oder Ausbildung?“, kontert Guérot. Bildung bedeute nämlich, dass man kritisch denken kann und nicht alles glaubt, was einem vorgesetzt wird.

Für Kapsch sind sowohl Bildung als auch Ausbildung wichtig: „Weil Wissen eine immer kürzere Halbwertszeit hat, ist Bildung heute wichtiger denn ja. Die muss multidimensional sein, weil man nur so interdisziplinär denken kann. Deshalb sind Geisteswissenschaften genau so wichtig wie Naturwissenschaften.“

Wie die Gesellschaft frei, sicher und solidarisch bleiben kann

Runder Tisch.

Diskurse am Tisch: Das sagen die Teilnehmer

"Solidarität? "Das gilt doch nur innerhalb der eigenen Familie. Aber das ist ja dann  Egoismus“, stellt die ältere Dame fest. Sie sitzt gemeinsam mit  zehn anderen Diskutanten am Tisch und redet über das Spannungsfeld von Freiheit, Solidarität und Sicherheit im Rahmen der Veranstaltung „überMorgen“.  Rund 100 Menschen haben sich gefunden, um zu diskutieren – jung und alt, rechts wie links, gläubig oder atheistisch stritten sich im guten Sinn des Wortes.

Rauchen gegen Nichtraucher

Das Thema klingt  nach einer akademischen Diskussion. Doch diese Fragen betreffen unseren Alltag mehr, als wir glauben. „Denken Sie an das Rauchen. In den 60er-Jahren war es noch ein Symbol der Freiheit. Heute  sind wir uns bewusst, dass wir  dadurch andere schädigen,  es ist ein  Akt der Solidarität, das nicht in Gesellschaft zu tun“, sagte Dieter  Feierabend, der ein Eingangsreferat zu dem Thema gehalten hat. „Wer Freiheit sagt, muss also auch immer die Verantwortung für sich und die Gesellschaft  tragen.“

Wie die Gesellschaft frei, sicher und solidarisch bleiben kann

Senioren und Junioren reden miteinander.

Doch diese Freiheit sehen viele gefährdet – etwa durch „immer mehr Gesetze und höhere Steuern“, wie eine Teilnehmerin meint. Oder dadurch    dass die „Menschen immer mehr Angst und immer weniger Gottvertrauen haben und deshalb angeblich starken Männern hinterherlaufen“.
Doch wie kann man dem begegnen? Über dieses Thema wird auch am Nachbartisch  intensiv diskutiert: „Wir müssen alle Vorbild sein“,   meint ein Herr mittleren Alters. „Wir dürfen nicht nur von Politik und Medien fordern, dass sie unsere Freiheit verteidigen und gegen den sich umgreifenden Populismus etwas tun. Wir  müssen selbst  aktiv werden.“

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Tischgespräche


Doch wie? In eine Organisation wie Greenpeace oder dem Roten Kreuz eintreten? Eine Möglichkeit. „Doch die haben auch alle ihre eigene Agenda“, gibt eine ältere Dame zu bedenken.  Dennoch sei es wichtig, sich persönlich zu engagieren, meint ihr Tischnachbar: „Ich abonniere zwei unabhängige Medien und unterstütze eine Partei – auch wenn ich nicht alle Ziele teile.“  Auf jeden Fall gehe es darum, selber ein Vorbild zu sein und kritisch zu denken. Doch dazu braucht es Bildung – darüber waren sich eigentlich alle an den zehn Diskursen am Tisch einig.

Für mich selbst

Warum? Eine Teilnehmerin erläutert das so: „Wenn ich die Freiheit habe, etwas zu tun, habe ich auch die Verantwortung, die Folgen meines Handels für mich selbst und für andere abzuschätzen und mit zu bedenken. Damit ich das aber weiß, brauch ich ein Wertegerüst, das nur über Bildung entstehen kann.“
Doch nicht nur Bildung ist nötig, wie Martin Schenk von der Armutskonferenz betont. Und er erklärt das an einem simplen Bild: „Wer fastet, hat die Freiheit, das aus eigenen Stücken zu tun. Wer hungert, hat diese Freiheit nicht.“

Wie die Gesellschaft frei, sicher und solidarisch bleiben kann

Das Motto lautet "überMorgen"

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