"Wertbild so wichtig wie Blutbild"

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Führende Mitarbeiter im Gesundheitswesen sollen für ethische Fragen sensibilisiert werden.

Einen Universitätslehrgang „Angewandte Ethik im Gesundheitswesen“ bietet ab dem Herbstsemester das 2012 gegründete Zentrum für Ethik in der Medizin an der Donau-Universität Krems an. „Medizin und Ethik müssen wieder näher aneinanderrücken“, sagt Zentrumsleiter und Philosoph Univ.-Prof. Peter Kampits.

KURIER: Fehlt der Medizin heute die Ethik?

Peter Kampits: Ethik und Medizin waren seit der Antike eng verflochten. Im 19. und 20. Jahrhundert hat sich das entkoppelt. Das zeigt sich auch in der Arzt-/Patient-Beziehung: Das Gespräch verkümmert immer mehr zugunsten der im Computer gespeicherten Befunde. Der Arzt schaut nur auf den Bildschirm, ist von einem Reparaturdenken eingenommen, aber der Mensch in seiner Gesamtheit gerät dabei in den Hintergrund. Dabei ist Krankheit ein zutiefst existenzielles Geschehen.

Wieso haben sich Ethik und Medizin auseinanderentwickelt?

Weil uns der Fortschritt überrollt hat, und weil im Grundverständnis der Mediziner nicht nur der Heilungsauftrag liegt, sondern auch jener zur Forschung, zur Entwicklung neuer Therapien. Diese Freiheit der Forschung ist ein hoher, in den vergangenen Jahrhunderten mühsam errungener Wert, der natürlich nicht infrage gestellt werden darf. Aber auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob alles, was machbar ist, auch gemacht werden soll.

Können Sie ein Beispiel nennen?

"Wertbild so wichtig wie Blutbild"
Peter Kampits, Philosoph
Wir haben besonders am Lebensanfang und am Lebensende immer drängendere ethische Fragen. Heute überleben extreme Frühgeburten, die vor ein paar Jahren noch gestorben wären, manchmal aber um den Preis von körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen. Am Lebensende kann man heute sehr lange lebenserhaltende Maßnahmen einsetzen. Aber hier stellt sich die Frage, inwieweit das einen Sinn macht, und ob man nicht dem natürlichen Tod seinen Lauf lassen soll. Zur Frage der Machbarkeit kommt das ökonomische Problem dazu: Das Schlimmste für eine Ethiker wäre, wenn aus wirtschaftlichen Gründen Altersgrenzen für bestimmte Behandlungen eingezogen würden. Diese Gefahr sehe ich auf uns zukommen.

Wie sollen Mediziner in ethisch heiklen Situationen handeln?

Wichtig ist immer ein Kommunikationsprozess zwischen Ärzten, Angehörigen und – so weit dies möglich ist – dem Patienten. Schwerwiegende ethische Fragen sollten nicht von einer einzelnen Person entschieden werden. Eine Ethik hat kein Patentrezept, sie muss immer auch die Situation berücksichtigen, die Rahmenbedingungen und – innerhalb der rechtlichen Möglichkeiten – auch die Werthaltung und die Lebenseinstellung des Betroffenen und seiner Angehörigen: Ist es jemand, der tief im Christentum verankert ist und sein Leben als Geschenk Gottes sieht, das auch nur Gott zurücknehmen darf? Oder ist es jemand, der sagt, ich will nicht länger leiden?

Was wollen Sie erreichen?

Wir wollen Ärzte und führende Mitarbeiter aus dem Gesundheitswesen für das Unbehagen, das aus der Entkoppelung von Medizin und Ethik entstanden ist, sensibilisieren. Ein Satz des Medizinethiker Hans-Martin Sass umreißt unsere Ziele sehr gut: „Das Wertbild des Patienten ist ebenso wichtig wie sein Blutbild.“ Da wollen wir die Ärzte und andere Gesundheitsberufe hinführen.

Info: Ethik-Lehrgang

Start im November

Der Universitätslehrgang „Angewandte Ethik im Gesundheitswesen“ vom Zentrum für Ethik in der Medizin der Donau-Universität Krems, NÖ, startet im November. Er kann mit einem Master of Science (vier Semester), mit einem Akademischen Experten (drei Semester) oder mit einem „Certified Program“ (zwei Semester) abgeschlossen werden. Vortragende sind namhafte Experten auf dem Gebiet der Medizinethik. Anmeldung bis Anfang Oktober. Infos: 02732 / 893 / 2831 bzw. www.donau-uni.ac.at/zem

„Wertemanagement ist bei uns ein Führungsprinzip“, sagt Michael Heinisch, Geschäftsführer der Vinzenzgruppe, einer der größten privaten Träger gemeinnütziger Gesundheitseinrichtungen (u.a. sieben Spitäler und zwei Pflegehäuser). „In jedem Haus gibt es einen Wertevorstand. Dieser ist mit der kollegialen Führung (ärztlicher Direktor, Pflegedirektor, Verwaltungsdirektor, Anm.) gleichberechtigt.“

Eine Initiative des Wertemanagements war ein Ethikbeirat für die gesamte Vinzenzgruppe. Dieses Gremium mit Ärzten, Vertretern der Pflegeberufe, Psychologen, Juristen und Theologen tagt vierteljährlich und arbeitet Richtlinien – etwa zu ethischen Fragen am Lebensende – aus. Diese sind für die Mitarbeiter der Vinzenzgruppe eine Orientierungsgrundlage.

„Für jede unserer Einrichtungen haben wir überdies ein Ethikkomitee, das sich um hausspezifische Themen kümmert.“ Wenn es um ethische Fragen bei einzelnen Patienten geht, können Ärzte bzw. Pflegemitarbeiter ein Ethikkonsilium aus geschulten Mitarbeitern einberufen.

„Wir bemühen uns, dass Medizin und Ethik Hand in Hand gehen“, so Heinisch: „Das gibt den Patienten auch Sicherheit. Sie wissen, dass wir eine profunde ethische Grundlage für unsere Arbeit haben. Und es ist wichtig, dass sie merken, sie sind nicht alleine.“ Um dies den Patienten vermitteln zu können, wurden mehrere Projekte realisiert: „Die größte Angst eines Menschen im Krankenhaus ist meist die Angst vor einer Operation. Deshalb bieten wir jedem Patienten an, dass ihn eine diplomierte Krankenschwester, die er kennt, bis zum OP-Saal begleitet. Und an der Schleuse gibt es auf Wunsch die Möglichkeit zu einem Gespräch mit einer Ordensschwester.“

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