Was von der EHEC-Krise übrig blieb

Was von der EHEC-Krise übrig blieb
Der Großteil der EHEC-Patienten hat sich wieder erholt. Wie das gelungen ist und woran sie dennoch leiden.

Eine Kosmetikerin wusste innerhalb von drei Tagen nichts mehr mit einem Lippenstift anzufangen, eine Richterin kannte das Wort Gericht nicht mehr. Gänsehaut. "Manche Patienten konnten nur noch an die Decke starren. Es war extrem beängstigend", erzählt der Nephrologe Prof. Jan T. Kielstein von der Medizinischen Hochschule Hannover.

3052 EHEC-Infizierte, 852 Patienten mit HUS (Hämolytisch Urämisches Syndrom) und mindestens 50 Tote: Vier Monate ist es her, seit die EHEC-Epidemie in Europa für Misstrauen gegenüber jeglichem Gemüse sorgte - allen voran Gurken, Tomaten und letztendlich Sprossen.

Eine Zeit, in der Kielstein tagtäglich um das Leben seiner Patienten kämpfte. "Bei uns wurden teilweise acht Patienten an einem Tag eingeliefert. Es ging schwer an die Substanz, zu sehen, wie jemand aus vollständiger Gesundheit so krank wurde - und wir konnten nicht sagen, wie das ausgehen wird." Die Betroffenen hatten Angstzustände, konnten nicht mehr Flaschen öffnen oder sich die Zähne putzen.

Rund 400 Patienten waren so schwer erkrankt, dass ihre Nieren versagten und sie an Dialyse-Apparate (Anm., Blutwäsche) angeschlossen werden mussten. Die Befürchtung, dass ein Großteil davon in Folge auf eine Nierentransplantation angewiesen sein wird, hat sich glücklicherweise nicht bestätigt. "Ich gehe bei etwa 15 bis 20 Patienten davon aus, dass sie langfristig auf die Dialyse angewiesen sein werden." Der Rest hat sich inzwischen gut erholt.

Nierenfilterchen

"Das liegt nicht daran, dass unsere Behandlung so toll war", erklärt Kielstein. "Von einem dauerhaften Versagen ist erst auszugehen, wenn die Niere länger als 90 Tage nicht funktioniert." Außerdem hat jede Niere bis zu 800.000 Filterchen. "Bei dieser Erkrankung sind 50 bis 90 Prozent der Filterchen betroffen - ein Teil davon kann sich aber wieder erholen", erklärt der Nephrologe Univ.-Prof. Walter Hörl von der MedUni Wien. "Bis zu einer Nierenfunktion von 40 Prozent kann im Prinzip jeder jeden Job ausführen - es gibt keine Symptome, die das Allgemeinbefinden beeinträchtigen."

Auch die neurologischen Störungen haben sich bei den meisten zurückgebildet. Kielstein gibt eine mögliche Erklärung: "Es war wohl nicht, wie vermutet, die Durchblutung des Gehirns dramatisch verändert, sondern nur der Stoffwechsel des Gehirns."

Langzeitfolgen

Auch wenn das Risiko, später an der Dialyse zu hängen, erhöht ist, sieht Kielstein eher Langzeitfolgen auf psychologischer Ebene: "Was die Betroffenen und ihre Angehörigen belastet, ist das schwere Ereignis, die Nahtoderfahrung."

Die Ärzte tappten bei der Behandlung lange Zeit im Dunkeln - wie würde man heute mit EHEC umgehen? "Letztendlich sind wir nicht viel schlauer", gibt Kielstein zu. "Fast alle haben einen Plasma-Austausch bekommen, aber ich kann nicht sagen, ob das zwingend notwendig gewesen wäre. Es ist auch schwierig herauszuarbeiten, ob der Antikörper Eculizumab etwas gebracht hat. Die Analysen sind noch im Laufen."

An diesem Wochenende findet ein internationales Symposium der Nephrologen zu dem Thema statt. Eines weiß Hörl bestimmt: "Dass die Lehrbücher zu HUS neu geschrieben werden."

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