Was ein Top-Mathematiker über den Glauben sagt

Rudolf Taschner im Interview über sein neues Buch "Woran glauben".
Mathematiker Rudolf Taschner versucht sich im neuen Buch als Philosoph und hantiert mit dem Glauben.

Man kennt Rudolf Taschner als leidenschaftlichen Mathematiker. Sein neues Buch „Woran glauben“ lässt allerdings erahnen, dass Taschner auch Humanist und Philosoph sein möchte. Im KURIER-Gespräch klingt das so: „Natürlich gewinnt der Glaube gegen den Beweis.“

KURIER: Haben Sie den Beruf verfehlt?
Rudolf Taschner: Die Sätze in der Mathematik sind 2500 Jahre alt und stimmen noch immer. Ich wollte zuerst etwas Anständiges studieren und die mathematische Lehre hat mich wahnsinnig interessiert. Die Mathematik ist außerdem die zweitbilligste Wissenschaft. Man braucht nur Papier, Bleistift und einen Papierkorb zum Wegschmeißen. Die billigste Wissenschaft ist die Philosophie. Die braucht nicht einmal den Papierkorb.

Was ein Top-Mathematiker über den Glauben sagt
Rudolf Taschner im Interview über sein neues Buch "Glaube". Wien, 28.9.2016

Das scheint Ihnen zu gefallen.
Natürlich ist die Philosophie sehr interessant. Das Nachdenken war in der Schule wichtig für mich. Den Dingen auf den Grund zu gehen, dieses Faustische. Geschichte ist ebenso ein spannendes Feld. Mein neues Buch enthält Gedanken, die es wert sind, dass ich sie anderen mitteile. Oder sagen wir: Die kann ich anderen zumuten.

Es sind zumindest Gedanken, die man nicht von Ihnen erwartet. Darf ein Mathematiker denn glauben?
Selbstverständlich, denn nicht alles ist beweisbar. Sobald etwa das Unendliche ins Spiel kommt, wird die Sache unklar. Mathematiker versuchen immer, ein widerspruchsfreies Regelsystem aufzustellen. Es wäre peinlich, wenn irgendwann bewiesen werden könnte, dass eins gleich null ist.

Dann gewinnt der Glaube eigentlich gegen den Beweis.
Natürlich gewinnt der Glaube. Ich möchte etwas Interessantes beweisen und wenn das möglich ist, gehört es der Mathematik an. Wenn es aber nicht beweisfähig ist, kann es immer noch einen Reiz haben. Wir Mathematiker sagen so etwas wie „Ich glaube, dass das stimmt“. Es muss eine Möglichkeit geben, das Ganze auf ein Fundament zurückzuführen. Der wirklich waghalsige Glaube ist derjenige, bei dem ich sage „Ich werde nie wissen“. Jemand der glaubt, will nicht, dass es bewiesen wird. Dann wäre sein Engagement des Glaubens sinnlos gewesen.

Sie gehen im Buch noch weiter und bringen sogar Verständnis für Aberglauben auf.
Sehr viele Menschen sind ein bisschen abergläubisch. In meinem Buch erwähne ich eine Geschichte über Nils Bohr, einem Giganten der Physik und ein Freund Einsteins. Bohr bekam Besuch von einem Kollegen, der ein Hufeisen über der Haustür Bohrs bemerkte und sagte: „Herr Professor Bohr, Sie werden doch nicht glauben, dass das Hufeisen Glück bringt.“ Bohr darauf: „Selbstverständlich glaube ich nicht daran, aber ich habe mir sagen lassen, dass es auch dann Glück bringt, wenn man nicht daran glaubt.“ Es ist eine Anekdote, aber sie ist so gut, dass sie wahr sein muss.

Wird etwas denn wahr, wenn es besonders gut ist? Oder wenn man daran glaubt?
Die Wahrheit ist heikel. Was ist Wahrheit? Was wissen wir wirklich? Ich möchte etwas wissen und aus diesem Wissen heraus mein Leben gestalten. Dann fragt man sich, ob das Wissen gesichert ist und erkennt – gar nichts ist wirklich gesichert. Selbst tiefes Wissen ist auf Glaubenssätzen gegründet.

Scheitert die Welt heute nicht eher daran, dass so viele gar keine Glaubenssätze mehr in sich tragen?
Ich glaube, dass es bei jedem Menschen etwas gibt, wo er Halt sucht. Wie ich mich im Leben halten kann. Nehmen wir die Zukunft: Es ist schwierig zu wissen, ob man noch an die Zukunft glauben kann. Die Menschen haben auch vergessen, dass sie die Zukunft gestalten können. Sie fühlen sich einem Strom ausgeliefert. Die Unsicherheit der Zukunft ist riesig.

Klingt nicht so, als ob Sie an eine wunderbare Welt glauben.
Ich weiß, dass ich sie zumindest nicht erschaffen kann. Niemand kann Sie schaffen. Aber es gibt wunderbare Augenblicke. Es gibt zum Beispiel die Kunst. Oder Berufe, der Beruf des Lehrers etwa ist wunderbar. Man hat Kinder vor sich und weiß, dass sie das Gelernte zur Verwirklichung bringen werden.

Gibt es diese Leidenschaft noch im Beruf? Arbeiten die meisten heute nicht nur mehr, um Geld zu verdienen?
Im Endeffekt ist es nicht nur des Geldverdienens wegen. Selbst wenn ich Straßenkehrer bin und weiß, dass die Straße morgen genauso schmutzig sein wird. Ich arbeite, weil ich einen Sinn in der Arbeit finde. Wer das nicht hat, wird in seinem Job höchstwahrscheinlich versagen. Auch wenn Arbeitsprozesse durch Maschinen ersetzt werden, wird es immer Arbeit geben. Es muss Arbeit geben. Die Menschen werden danach gieren.

Aber noch mehr gieren sie nach Genuss und Konsum. Sie loben im Buch das Fasten, das zum Genuss auf einer höheren Ebene führt. Warum fällt vielen der Verzicht dennoch so schwer?
Ich fürchte, dass wir sehr stark im Oberflächlichen leben. Man wagt es nicht mehr, in die Tiefe zu blicken. Es ist anstrengend und das Ich soll versteckt werden. Mein Buch soll einen Kontrapunkt geben und den Lesern zeigen, was alles möglich ist. Das Leben ist nämlich ein ewiges Provisorium.

Themenwechsel: Warum bringen Sie im Buch auch den Glauben an die Natur ins Spiel?

Ich selbst bin kein Naturmensch, denke aber, dass viele Menschen naturgläubig sind. Und da ist es ein Unterschied, ob ich einen Baum zwecks der Natur umarme oder in dem Baum ein Du, einen Partner, sehe. Ich erkenne in der Natur nichts Hintergründiges. Sie ist für mich gleichsam wie ein Vorhang und ich möchte den Vorhang weghaben und dahinterschauen. Viele Leute lieben diesen Vorhang, der sie da umfängt. Die ersten Kapitel im Buch widme ich Dingen, bei denen ich persönlich skeptisch bin, wie die Natur. In den letzten Kapiteln fühle ich mich mehr zu Hause.

Die handeln vom Glauben an das „Ich“ und an das „Dich“.
Der Glaube an das Ich und Dich ist der fragilste, der zerbrechlichste. Ich habe ein Du gegenüber und plötzlich werde ich enttäuscht, das ist das Schrecklichste, was einem Menschen passieren kann. Aktuell sieht man bei Brad Pitt und Angelina Jolie, wie fragil ein offiziell gemachtes „Ich und Du“ sind. Das Buch musste damit enden, dass es jemandem, der vollkommen verzweifelt ist, Hoffnung schenkt. Ich möchte einen Funken Licht bringen. Das Ich und Du sehe ich am stärksten bei Mutter und Kind. Jedes Kind ist eine eigene neue Welt.

Also doch der Mathematiker als Philosoph. Bleibt nur die Frage, was uns zum Menschen macht.
Die Freiheit, seinen eigenen Weg finden zu können. Existenz ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält und in dem Verhalten zu sich selbst sich zu den anderen verhält, so sagt es Kierkegaard. Ich muss auf mich selbst kommen und mich fragen, wie ich mich in die Welt hineinsetzen werde. Irgendwann komme ich mal dazu, dass ich sage: So und da bin ich.

Zur Person

Rudolf Taschner, geboren 1953 in Ternitz/NÖ, ist Mathematiker und Professor an der TU Wien. Er gründete mit seiner Frau Bianca und Kollegen den Veranstaltungs- ort „math space“ im Museums- Quartier und sieht Mathematik als kulturelle Errungenschaft. 2004 wurde Taschner „Wissenschaftler des Jahres“. 2011 erhielt er den Preis der Stadt Wien für Volksbildung. Zuletzt veröffentlichte er „Die Mathematik des Daseins“.

Was ein Top-Mathematiker über den Glauben sagt
Rudolf Taschner, Buchvover, Verlag Brandstätter, honorarfrei für Buchbesprechung Interview

Buchtipp: „Woran Glauben – 10 Angebote für aufgeklärte Menschen“, Brandstätter Verlag, 24,90 €

Öffentliche Präsentation des Buches: Donnerstag, 13. Oktober 2016, 19 Uhr in der Buchhandlung Frick am Graben (Graben 27, 1010 Wien).

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