Warum wir zwölf Mal in der Stunde seufzen müssen

Seufzen Sie! Das sichert Ihr Überleben
Der oft unbewusste Reflex ist notwendig zum Überleben.

"You must remember this: a kiss is just a kiss, a sigh is just a sigh."

Pianist Sam (gespielt von Dooley Wilson) in "Casablanca"

Der von Pianist Sam gsungene Text ist überholt: Denn ein Seufzer ist in Wirklichkeit offenbar viel mehr als ein Seufzer. Ohne diesen Mechanismus gäbe es kein Leben.

Die Washington Post kam angesichts einer neuen Studie zu dem Thema im Top-Journal Nature gar um ein Wortspiel mit Wissenschaft (Science) und seufzen (sigh) nicht umhin: "It’s a great day for sigh-ence". Und ein Radiomoderator war überhaupt total verblüfft: "Ich dachte bisher, ich seufze nur zwei Mal am Tag – das erste Mal, wenn ich in der Früh ins Büro komme."

Alles anders: Forscher der Stanford University und der University of California in Los Angeles (UCLA) haben – zumindest bei Mäusen – das "Seufz-Zentrum" im Gehirn entdeckt. Und im Schnitt seufzt ein Mensch nicht zwei Mal am Tag, sondern alle fünf Minuten. Macht zwölf Seufzer pro Stunde. Die meisten davon völlig unbewusst.

Zwei Neuronenhäufchen

Die Forscher machten zwei kleine Häufchen von je rund 200 Neuronen (Nervenzellen) im Hirnstamm ausfindig, die dafür verantwortlich sind, dass normale Atemzüge zu tiefen Seufzern werden.

Das eine Neuronengrüppchen produziert einen von zwei Hirnbotenstoffen (Neuropeptiden), die es den Zellen ermöglichen, untereinander zu kommunizieren. Die Forscher fanden heraus, dass damit das andere Grüppchen an Nervenzellen angeregt wird. Dadurch werden dann bei den Mäusen die Atemmuskeln so aktiviert, dass aus normalem Einatmen ein Seufzer wird.

Tiefer Atemzug

"Ein Seufzer ist ein tiefer Atemzug – aber ein unwillkürlicher", sagt der Neurobiologe Jack Feldman von der UCLA. "Er beginnt wie normales Einatmen, aber bevor man ausatmet, atmet man noch ein zweites Mal ein."

Die hohe Seufz-Häufigkeit hat (nicht nur) damit zu tun, dass es möglicherweise tatsächlich so viel zu Seufzen gibt. Sie ist vielmehr ein lebenswichtiger Reflex: Eine halbe Milliarde Lungenbläschen sorgen dafür, dass der Sauerstoff aus der Einatemluft vom Blut aufgenommen und gleichzeitig Kohlendioxid an die Ausatemluft abgegeben werden kann (Gasaustausch). Doch immer wieder kommt es vor, dass die kleine Bläschen in sich zusammensacken. "Aber das gefährdet die Fähigkeit der Lunge zum Gasaustausch", sagt Feldman. "Die einzige Möglichkeit, sie wieder aufzurichten, ist ein Seufzer. Er bringt das doppelte Luftvolumen in die Lunge wie ein normaler Atemzug. Seufzen wir nicht alle fünf Minuten, dann versagen unsere Lungen irgendwann einmal."

Neue Therapien

Die "Seufz-Forschung" hat einen wichtigen Hintergrund: Sie könnte dazu beitragen, neue Therapien für Menschen mit Atemschwierigkeiten zu entwickeln. Moderne Beatmungsgeräte ahmen das Seufzen bereits nach, indem sie von Zeit zu Zeit deutlich mehr Sauerstoff abgeben. Noch nicht geklärt ist, welche Mechanismen dafür verantwortlich sind, dass Menschen zum Beispiel unter Stress deutlich öfter seufzen. Feldman: "Möglicherweise wird dann ebenfalls die Ausschüttung dieser speziellen Hirnbotenstoffe ausgelöst – aber wirklich wissen tun wir das noch nicht."

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