Warum Freude am Neuen zum Menschen gehört
"Wir müssen den ungeheuerlichen Gedanken zulassen, dass wir in eine zweite Schöpfungswoche hineindriften." Das sagte der Philosoph Prof. Peter Sloterdijk Montagabend bei einer Diskussion zum Thema "Innovation" in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, organisiert vom US-Pharmaunternehmen Bristol-Myers Squibb.
Erst um 1460 vollzog sich der Übergang von einer "Metaphysik der fertigen Welt" – in der Gott schon alles geschaffen hat, was sinnvoll und richtig ist – zu einer "Metaphysik der unfertigen Welt". "Es war ein Wechsel zu einer Kultur der Freude am Neuen, der Neophilie", erklärte Sloterdijk. "Und der Mensch ist von Natur aus ein neophiles Geschöpf."
"Genies und Ingenieure" treten seither an die Spitze, "am Dienstag der Schöpfungswoche des Menschen erscheinen die Kraftmaschinen und inzwischen treten wir in einen neunten, zehnten Schöpfungstag ein, an dem unter menschlicher Mitwirkung die Kontrolle über die Elemente und die Rekonstruktion des Lebens selbst auf die Tagesordnung gesetzt worden ist".
Prinzip Hoffnung
Doch mittlerweile nehme "die Technikfurcht ihre zweite Chance wahr, weil wir gleichzeitig in ein Zeitalter der Nebenwirkungen der Innovationen eintreten". Diese gehe so weit, dass "die neuen Konservativen für Innovationsstopp und Restauration argumentieren. Dies mag plausibel sein in Bezug auf einige Extremrisiken, aber im Ganzen bleibt das Prinzip Hoffnung, vor allem auf die Grundübel der Menschheit, Armut, Krankheit und Resignation: Jede Innovation, die hilft, diese Mitgiften der conditio humana (der Bedingungen des Menschseins, Anm.) zu reduzieren, bleibt willkommen."
Elfter Schöpfungstag
Österreich möchte aber Teil der Welt sein: "Unsere vielfachen Kontakte führen Kollegen aus Europa und den USA zusammen und es ist ein wunderbares Erlebnis, dass wir aus einem kleinen Land kommen und als solches eine große Rolle in der Welt spielen können." Im Bereich Gesundheit sei die Forschung dabei, den elften Schöpfungstag zu beginnen: "Ich selbst habe das Privileg, etwas erleben zu dürfen, womit ich nie geglaubt habe, damit jemals konfrontiert zu werden – dass viele Krebserkrankungen zu einer chronischen Krankheit geworden sind."
Innerhalb von nur 20 Jahren sei durch den Fortschritt in der Onkologie – "auch durch das Verständnis darüber, was in einer Krebszelle passiert" – der Anteil der Krebspatienten, die fünf Jahre nach der Diagnose leben, von 44 auf 61 Prozent gestiegen. "Es ist ein großer Unterschied, ob Sie einer Frau mit Brustkrebs und einer 14-jährigen Tochter sagen können, ihre Lebenserwartung liegt bei sechs bis neun Monaten oder bei mehr als fünf Jahren. Aufhalten können uns nur die Gesundheitsausgaben – aber Krebserkrankungen machen lediglich sieben Prozent davon aus."
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