Was Europäer bei der Erziehung besser machen

Was Europäer bei der Erziehung besser machen
Vertrauen statt Überbehüten: Die Amerikanerin Sara Zaske erlebte in Berlin, wie viele Freiheiten Kinder dort haben und so zu selbstständigen Menschen werden.

Ein Volksschulkind, das alleine mit den Öffis in die Schule fährt, ist in Österreich und auch Deutschland völlig normal. Anders in den USA und Großbritannien, wo die meistern Eltern ihren Nachwuchs dauernd überwachen, aus Angst, er könnte entführt werden. Kein Wunder also, dass die US-amerikanische Journalistin Sara Zaske ihren Augen nicht traute, als sie in Berlin beobachtete, wie Kinder ganz selbstverständlich ohne Erwachsene kleine Wege meistern.

Insgesamt sechs Jahre lebte Zaske in der deutschen Hauptstadt, und so nach und nach fand die zweifache Mutter Gefallen an dem Erziehungsstil ihres Gastlandes. Ihre Erfahrungen hat sie in einen Buch zusammengetragen, das demnächst auf Englisch erscheinen wird. "Achtung Baby: How to Parent Like a German", eine Art Anleitung, sein Kind so zu erziehen, wie es die Deutschen tun.

Auffallend war für die Amerikanerin, dass die deutschen Kinder in kleinen Schritten darauf vorbereitet wurden, selbstständig zu agieren: "Der Schulweg wurde mit ihnen eingeübt, bevor man sie alleine losschickte. Volksschulkinder machen einen ,Messerführerschein‘, bevor sie mit dem Taschenmesser hantieren dürfen."

Das hätte Folgen für die Psyche der Kinder und Jugendlichen, ist sich die Mutter sicher. "Sie sind selbstständiger und selbstbewusster und haben ein größeres Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten. Das führt zu einem besseren Schulerfolg, wie die PISA-Ergebnisse zeigen, wo deutsche Jugendliche besser abschneiden als ihre Altersgenossen in den USA oder Großbritannien."

Grundvertrauen

Wie wichtig es ist, dass Kinder eigene Erfahrungen machen dürfen, weiß Petra Mandl, Sozialarbeiterin bei der Servicestelle der MAG ELF 11 in Wien. "Ein Grundvertrauen in die eigenen Fähigkeiten kann nur entstehen, wenn das Kind selber etwas machen darf. Das fängt schon im Babyalter an, wenn die Kleinen Bausteine zu einem Turm stapeln. Sie müssen die Erfahrung machen können, wie so ein Bauwerk entsteht. Ein Scheitern ist da natürlich oft vorprogrammiert, doch gerade aus Misserfolgen lernen Kinder. So können sie sich Strategien zurechtlegen, wie sie dennoch ihr Ziel erreichen – sei es, dass sie es immer wieder probieren, sei es, dass sie sich zur Not Hilfe holen."

Natürlich ist es für Mütter und Väter nicht immer leicht zu sehen, wie ihr Kind an einer Aufgabe scheitert. Und manchmal müssen die Eltern auch eingreifen. Das gilt auch auf dem Spielplatz, wo Kinder alleine sich austoben können, doch die Eltern präsent sind und unterstützen, wenn Gefahr droht. Sie sollten aber keinesfalls Daueranimateur für ihre Kinder spielen", sagt Mandl.

Das Ganze sei ein Wechselspiel: "Je häufiger die Kinder eine Aufgabe alleine erfolgreich bewältigen, desto größer wird das Vertrauen der Eltern in die Fertigkeiten der Kinder." Weil Helikoptereltern, die ihren Nachwuchs ständig bewachen, das nicht zulassen, verhindern sie, dass ihre Töchter und Söhne lernen, das Leben zu meistern.

Aufklärung

Ein Kulturschock war für die Amerikanerin Zaske auch der offenere Umgang mit Themen wie Religion oder Sexualität. Als sie mitbekam, dass solche Themen bereits in der Volksschule behandelt werden, musste sie ganz schön schlucken. "Die Berliner Eltern wollen offensichtlich weniger kontrollieren, was in der Schule gelehrt wird", zieht sie heute Resümee.

Sie kann dem mittlerweile vieles abgewinnen: "Diese Sexualerziehung hilft meiner Tochter wohl, besser für zukünftige Risiken gewappnet zu sein." Das zeige auch die Statistik. Teenager-Schwangerschaften kommen in Deutschland 3,5-mal weniger häufig vor als in den USA, was auch zu weitaus weniger Abtreibungen führt. Zudem gebe es weniger HIV-Neuinfektionen als in Ländern, in denen Sex ein Tabuthema ist.

Zaske ist übrigens nicht die Erste, die entdeckt hat, dass Erziehung viel mit der Kultur eines Landes zu tun hat. Ihre Kollegin Pamela Druckerman fasste die Erfahrungen ihrer Pariser Zeit in dem Buch zusammen: "Warum französische Kinder keine Nervensägen sind." Jessica Joelle Alexander und Iben Dissing Sandahl bewunderten hingegen die dänischen Eltern, für die Tablet- und Smartphone-freie Spielzeiten eine Errungenschaft sind. Und manche bewundern die chinesische Tiger-Mom Amy Chua, die ihre Kinder zum Erfolg drillt.

Dass die "gesunde Watsch’n" alles andere als gesund für die Psyche des Kindes ist, hat sich bei den meisten Eltern zum Glück herumgesprochen. Doch nicht nur die Seele eines jungen Menschen leidet, wenn er häufig angeschrien oder mit Strafen bedroht wird. Auch die schulischen Leistungen werden schlechter, wie jetzt eine Langzeitstudie der Universität Pittsburgh (USA) zeigt.

Die Forscher werteten dazu die Daten von mehr als tausend Schülern im Alter zwischen zehn und 20 Jahren aus. Sie kamen zu dem Schluss, dass Gewalt in der Erziehung einen "Komplex kaskadenartiger Prozesse" auslöst – mit der Folge, dass die Jugendlichen sich eher an ihren Altersgenossen, als an den Eltern orientieren, da diese die Grundbedürfnisse nicht abdecken.

Burschen würden später eher zu kriminellen Handlungen neigen, auch als eine Art Initiationsritus, um Teil ihrer Peergroup zu sein. Mädchen würden hingegen dazu tendieren, sehr früh sexuell aktiv zu sein. Das alles beeinflusse den Lernerfolg, viele brechen die Schule ab – veröffentlicht wurde diese im Fachmagazin Child Development. Die Forscher hoffen, dass ihre Ergebnisse dazu führen, Präventions- und Interventionsprogramme zu starten. In Österreich ist übrigens jedes vierte Kind von psychischer oder physischer Gewalt betroffen.

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