Wie man wird, was man wirklich ist
Noch nie gab es so viele Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten. Warum ist es so schwer, sie zu nutzen? Die "Möglichkeit des Unmöglichen" nutzen wir viel zu selten, sagt der Hamburger Psychotherapeut Uwe Böschemeyer. Im KURIER-Gespräch erklärt der Schüler des großen Psychiaters Viktor Frankl, warum das so ist. Und warum ein Wohnsitzwechsel auch mit 73 Jahren noch glücklich macht.
KURIER: Wir leben in einer Zeit, die viele an ihre Grenzen bringt. Ist es die Schnelllebigkeit, die uns so fordert?
Uwe Böschemeyer:Natürlich ist die Zeit selbst nicht schnelllebig. Wie "lang" sie uns erscheint, hängt von unserer Einstellung zu uns selbst und den wechselnden Situationen ab. Ich vermute, dass viele sich immer mehr von sich selbst entfernen und daher immer weniger in der Lage sind, Stehvermögen zu entwickeln, wenn´s schwierig wird. Sie sind frustriert.
Immer öfter hört man von Burn-out – aber auch von Menschen, die in einer Krise Chancen wahrnahmen und dann neue Wege beschreiten.
Burn-out ist die zugespitzte, verdichtete Form der "existenziellen Frustration", die Viktor Frankl bereits vor Jahrzehnten als primäres Problem unserer Zeit beschrieb. Manche dagegen lassen das Gefühl zu, dass sie keineswegs so leben, wie sie es ursprünglich wollten und wie es ihnen entspricht. Sie begnügen sich nicht mit einem Satz wie etwa dem, man müsse ja zufrieden sein. Sie fragen sich selbst, vielleicht zum ersten Mal, welches Leben auf sie wartet. Und je näher sie sich selbst kommen, desto leichter fällt ihnen der Beginn eines veränderten Lebens.
Die Kluft zwischen dem Wollen und dem Vollbringen von Wünschen ist aber groß.
Frei nach Goethe wohnen zwei Seelen in unserer Brust. Die eine will Sinn, Glück, Vollendung. Die andere das Gegenteil. Wären wir uns dieser inneren Großmächte bewusster, könnten wir uns mit Geist, Seele und Leib auf den Lebensbejaher ausrichten.
Aber sind nicht gerade die im Lauf der Jahre gefestigten Gedanken, Erfahrungen unsere Konstanten? Lässt sich die Macht der Gedanken überhaupt durchbrechen? Ja, viele Gedanken haben sich verfestigt. Wir haben uns an diese über Jahre verfestigten Gedanken so gewöhnt, dass wir auf die Idee kommen, sie gehörten zu unserem persönlichen Inventar. Die Frage ist nur: Nehme ich mir dann und wann Zeit zum Nachdenken, ob diese Leid-Gedanken auch weiterhin mein Dasein dominieren dürfen? Und ob ich nicht Lust auf andere, neue, erfreuliche Leit-Gedanken habe.
War das auch bei Ihrem Umzug mit 73 von Hamburg nach Salzburg so? Warum tut man sich das noch an? "Man" tut sich das an, wenn man noch Lust auf Erweiterung des eigenen Horizonts hat. Wenn man etwas oder jemanden hat, weshalb eine solche Entscheidung leichter fällt. Und: "Es liegt immer etwas Neues vor uns", sagte der alte C.G. Jung (Begründer der Analytischen Psychologie), als er gefragt wurde, was einen alten Menschen noch motivieren könnte.
Ist Angst vor Veränderung die größte Kraft, gegen Wünsche und Bedürfnisse zu arbeiten?
Wir sind vielleicht deshalb so gut darin, gegen uns selbst zu sein, weil uns zu wenig bewusst ist, dass die Selbstablehnung als reale Möglichkeit zu unserer inneren Ausstattung gehört. Die längste Zeit unseres Lebens schieben wir die Realisierung mancher Sinn- und Glücksmöglichkeit vor uns her. Und wie der Menschenkenner Erich Fried (Lyriker) sagte: Auch sein Unglück lieben, kann Glück sein.
Wie kann ich lernen, mir selbst zu vertrauen und mich selbst neu entdecken?
Mich zurückziehen, mich still werden lassen und Bilanz ziehen: Wie und wer bin ich geworden? Ahne ich, wer ich sein könnte? Was sagen mir meine Träume? Sie ergänzen bekanntlich unser Bewusstsein um das, was es selbst nicht weiß. Und: Mir selbst zu vertrauen lerne ich, indem ich mir selbst immer mehr treu werde im Denken, Fühlen und Handeln! Indem ich mir selbst so wenig wie möglich vormache und immer mehr meinen eigenen Weg gehe.
Zur Person
Uwe Böschemeyer (74) studierte evangelische Theologie, Philosophie und Psychologie, unter anderem in Wien bei Viktor Frankl (Begründer der Logotherapie) und erhielt von ihm die Lehrbefugnis. In Hamburg gründete er das Institut für Existenzanalyse und Logotherapie. Später entwickelte die Modelle "Wertimagination" und "Wertorientierte Persönlichkeitsbildung" (WOP), die Böschemeyer als "Bildungsarbeit an der Persönlichkeit nicht kranker Menschen" bezeichnet. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Seit 2013 lebt er in Salzburg.
Buchpräsentation
Mi., 28. 5., liest er in Wien (19 h, Thalia Landstr.)
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