Trotz Straffreiheit ein Tabuthema

Trotz Straffreiheit ein Tabuthema
Ein neuer Film rückt die Zeit vor 1975 ins Bild. Frauen erzählen über Ängste, Demütigung und was heute noch zu ändern wäre.

Auf dem Küchentisch der elterlichen Wohnung im Gemeindebau von einem unbekannten Arzt behandelt: Elisabeth Haidler, SPÖ-Bezirksrätin in Wien, unterzog sich 1959, mit 18 Jahren, einem – damals illegalen – Schwangerschaftsabbruch. "Diese Angst, die man damals haben musste! Dass der Arzt verhaftet wird, dass man selber verhaftet wird, dass es wer erzählt. Das kann sich heute niemand mehr vorstellen."

Genau deshalb entschloss sie sich, ihre Erinnerungen der Regisseurin und ORF-Journalistin Susanne Riegler zu erzählen. "Die Jungen wissen heute nicht mehr, wofür gekämpft wurde." Der Dokumentarfilm "Der lange Arm der Kaiserin" zeichnet die Geschichte der Abtreibung in Österreich nach. Damit wird so etwas wie eine thematische Lücke geschlossen. Denn seit Einführung der Pille in den 1960er-Jahren und der Straffreiheit für Abtreibungen seit 1975 treten die früheren, ins Kriminal gerückten, Umstände ungewollter Schwangerschaften in den Hintergrund. Haidler: "Ich wünsche mir aber, dass diese Geschichten wirklich Geschichte bleiben."

Ähnlich argumentiert die frühere Grün-Politikerin Freda Meißner-Blau ihre Teilnahme am Filmprojekt. "Man sprach nicht über Sexualität oder Verhütung. Das ganze Thema war belastet von einer ungeheuren, schwelenden, schweigenden Unwissenheit." Sie wurde bei einer illegalen Abtreibung 1947 in einer Wohnung in Rom angebunden und geknebelt, damit die Nachbarn nichts mitbekamen. "Es war nicht nur der körperliche Schmerz. Es war auch unendlich demütigend, die Art und Weise, wie das passiert ist. Damals sah ich keinen anderen Ausweg. Was man den Frauen zugemutet hat – dafür habe ich heute nur ein Wort: Niedertracht."

Engelmacherinnen

Regisseurin Riegler sprach auch mit Christine Käfer, 66, deren Großmutter und Mutter mitten in einem gutbürgerlichen Wiener Bezirk gefragte "Engelmacherinnen" waren: "Es kamen auch verheiratete Frauen, die schon drei oder vier Kinder daheim hatten." Besonders bedrückend sind die Erinnerungen von Annemarie Indinger, 83, aus Tamsweg. Sie erinnert sich, wie sich Frauen am Land versuchten, selbst zu helfen. Mit glühenden Stricknadeln oder Stopfnadeln. Nicht selten kam es zu schweren Entzündungen – bis hin zum Tod der Frau.

Das gehört heute tatsächlich der Vergangenheit an. Dennoch gibt es noch viel zu tun, meinen Experten. Junge Frauen scheuten sich interessanterweise, vor Rieglers Kamera zu treten. Aus Angst vor den unkontrollierbaren Reaktionen der Umgebung. Für Ulrike Busch, Professorin für Familienplanung an der deutschen Uni Merseburg, sind dies Zeichen einer Tabuisierung. "Es bereitet mir Sorge, dass dieses Recht auf Selbstbestimmung heute so unsichtbar ist." Der Gynäkologe Christian Fiala meint: "Der lange Arm der Kaiserin wirkt zum Teil bis heute, wenn Frauen vor Abtreibungskliniken bedrängt werden."

"Natürliche" Verhütung gefragt

Gehören alte Tabus tatsächlich der Vergangenheit an? Oder haben sie sich nur verschoben? Dieser Frage wurde im Rahmen der Filmpräsentation von "Der lange Arm der Kaiserin" im Naturhistorischen Museum lange diskutiert.

Für Elisabeth Parzer, Mitarbeiterin der Plattform "Aktion Liebe", die Sexberatungen und -workshops für junge Menschen anbietet, haben sich die Wertigkeiten verschoben.

"Natürlich hat sich vieles zum Besseren verändert. Die Pille ist zwar heute eine Selbstverständlichkeit geworden. Aber es gibt neue Mythen." Als Beispiel nennt sie den Wunsch vieler junger Frauen nach möglichst "natürlicher" Empfängnisverhütung mit der Pille. "Aber jede Pille ist natürlich ein Eingriff in die Abläufe im Körper."

Gynäkologe Christian Fiala: "Den meisten ist ihre eigene Fruchtbarkeit gar nicht bewusst. Das ist mit ein Grund, warum es trotz aller Verbesserungen noch immer ungewollte Schwangerschaften gibt."

Info: Vorführungen in ganz Österreich

Hintergrund Die "Tötung der Leibesfrucht" wurde in allen Gesellschaften und Religionen schwerst bestraft. Maria Theresia übernahm die Todesstrafe in ihr wichtiges Strafgesetzbuch "Constitutio Criminalis Theresiana" (1768). Später wurde sie zur Kerkerstrafe umgewandelt. Diesen "Paragraf 144" setzte erst die Fristenlösung 1975 (straffreier Abbruch in den ersten drei Monaten) außer Kraft. Er existiert aber noch immer.

Film In den nächsten Monaten sind Filmvorführungen in ganz Österreich geplant. Infos unter www.derlangearmderkaiserin.at

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