Österreicher zieht es zu Fachärzten

Österreicher zieht es zu Fachärzten
Schlechte Koordination im Gesundheitssystem: Patienten suchen zu oft Spezialisten auf.

Spezialist statt Hausarzt: Die Österreicher gehen im EU-Vergleich viel häufiger zu einem Facharzt als Bürger anderer EU-Staaten. Gesünder sind sie deshalb trotzdem nicht. Das ist ein zentrales Ergebnis einer neuen Studie der MedUni Wien.

Kathryn Hoffmann und die Co-Autoren vom Zentrum für Public Health der MedUni Wien haben die Daten aus einer großen Umfrage von 15.474 Österreichern („Austrian Health Interview Survey“) analysiert:

– 67,4 Prozent der Österreicher konsultieren mindestens einmal in einem Jahr einen Facharzt (Zahnärzte ausgenommen). In vielen anderen Ländern ist dieser Prozentsatz deutlich niedriger. Etwa in Norwegen, dort sind es nur 17 Prozent der Bevölkerung.

– 15,1 Prozent besuchten einen Facharzt und 8,5 Prozent eine Ambulanz, ohne einen Allgemeinmediziner aufgesucht zu haben.

„Die Inanspruchnahme des österreichischen Gesundheitssystems ist im Vergleich zu anderen EU-Ländern sehr hoch und unkoordiniert“, so Hoffmann. „Das führt aber nicht zu einem besseren Gesundheitszustand.“ So haben 65-jährige Norweger deutlich mehr gesunde Lebensjahre vor sich als die Österreicher – „obwohl sie nicht so oft zum Arzt gehen und ihr Gesundheitssystem günstiger ist“.

Koordinator

Dort hat der Hausarzt aber auch eine ganz andere Stellung als in Österreich: „Er hat eine verbindliche Koordinierungsfunktion.“ Die Patienten müssen zuerst zum Hausarzt – oft in sogenannten „Community Health Centers“, wo mehrere Hausärzte unter einem Dach praktizieren und sich intensiv austauschen. „Diese haben einen Gesamtüberblick.“

Gehe ein Patient sofort zu einem Facharzt, könne es hingegen passieren, dass die Diagnostik „nur in eine bestimmte Richtung betrieben wird – und der Gesamtüberblick verloren geht.“

In Ländern mit einer solchen Koordinierungsfunktion der Hausärzte sei auch deren Ausbildung wesentlich intensiver als in Österreich: „In Norwegen oder den Niederlanden gibt es einen Facharzt für Allgemeinmedizin, der nach dem Studium zwei bis drei Jahre lang in Ordinationen – sehr häufig von Ärzteteams in Gesundheitszentren – ausgebildet wird“, erklärt Hoffmann. Dort sei diese Ausbildung aber auch die herausforderndste, weil die Absolventen danach „einen Überblick über den gesamten Menschen in seinem sozialen Umfeld“ haben. „Für diese Ausbildung werden nur Absolventen mit den besten Noten genommen.“

Vernachlässigt

Laut Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer werde in Österreich das Thema Hausärzte seit 20 bis 30 Jahren vernachlässigt, „sowohl in der Ausbildung wie auch in der Organisationsform – Stichwort Gruppenpraxen mehrerer Hausärzte.“ Hausärzte würden mehr und mehr zu reinen Überweisern zu den Fachärzten – „das merkt der Patient und geht dann gleich zu den Spezialisten“. In gesundheitspolitischen Gremien würden sich zudem die Fachärzte besser durchsetzen. Insgesamt gebe es zu wenig Haus-, aber zu viele Fachärzte. „Das Gesundheitssystem hat nur einen geringen Anteil an der Lebenserwartung“, sagt Gesundheitsökonomin Maria Hofmarcher. Hier würden auch andere Faktoren – wie etwa eine Präventionskultur – eine Rolle spielen. Dass es viele Facharztbesuche gebe, sei nicht grundsätzlich negativ: „Aber das System muss effektiver werden.“ Fachärzte könnten etwa am Nachmittag die Infrastruktur von Spitälern nützen.

Österreicher zieht es zu Fachärzten

In den vergangenen Jahren wurden die Hausärzte aus gesundheitspolitischen Gründen schlechtgemacht“, sagt Christian Euler, Präsident des Österreichischen Hausärzteverbandes: „Ein ganzer Berufsstand wird demontiert.“ So herrsche in der Öffentlichkeit ein falsches Bild vor, etwa dass Hausärzte schlecht erreichbar seien: „Das stimmt nicht. Wir sind für unsere Patienten an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden lang erreichbar.“ Verfestigt habe sich auch die Ansicht, dass man beim Hausarzt „immer lang warten“ müsse: „Man bekommt aber immer noch am selben Tag einen Termin, beim Facharzt hingegen muss man oft wochenlang auf einen Termin warten.“ Heute gebe es viel zu viele Spezialambulanzen, für jedes kleinste Körperteil habe man eine eigene Einrichtung geschaffen: „Das ist eine Fehlentwicklung.“ Im neuen Koalitionsvertrag ist eine Stärkung der allgemeinmedizinischen Versorgung und des Hausarztes festgeschrieben.

Kommentare